München – Man sagt ja über Sebastian Rudy, er sei ein unauffälliger Typ, nicht erst seit gestern, sondern schon immer. Als Jungspund im Trikot des VfB Stuttgart, als Strippenzieher im Mittelfeld von 1899 Hoffenheim und heute als Teilzeitkraft beim FC Bayern. Rudy ist kein Mann mit Ecken und Kanten, keiner, der polarisiert, kein Lautsprecher. Um typische Markenzeichen festzustellen, muss man daher auf Details achten.
Was im vergangenen Jahr definitiv aufgefallen ist: Sebastian Rudy ist immer freundlich. Wenn er gefragt wird, antwortet er, typische Fußballer-Marotten wie Handy-ans-Ohr-und-beschäftigt-tun oder Aussprüche wie „heute nicht, beim nächsten Mal wieder“ gehören glücklicherweise nicht zu seinem Repertoire. Dafür mimt er auch nach dem Spiel stets den Unauffälligen. Es passiert nicht selten, dass er aus der Kabine geschlendert kommt, sich umblickt und merkt: Heute bin ich nicht gefragt. Zuletzt nach dem 5:2 des FC Bayern am Samstag gegen seinen Ex-Klub aus Hoffenheim.
Es war die erste Partie des Jahres 2018, die der 27-Jährige bestreiten durfte. Und trotzdem stand er in seinem typischen Aufzug – Rucksack auf dem Rücken, Hände an den Trägern – wie ein kleiner Schuljunge da. Wie bestellt und nicht abgeholt.
Rudy ist lange genug in diesem Geschäft, um zu wissen, dass auch wieder andere Tage kommen werden. Aber er merkte in diesem kurzen Moment, bevor er ohne Worte in die Nacht verschwand, dass seine Karriere definitiv schon bessere Momente erlebt hat. Während bei zahlreichen Spielern unter Trainer Jupp Heynckes das Wort „wachgeküsst“ im Überdruss verwendet wird, ist bei ihm eher das Gegenteil der Fall. Rudy hat unter Carlo Ancelotti deutlich bessere Zeiten erlebt. Von der Entwicklung, die etwa Kingsley Coman, James oder David Alaba genommen haben, ist er weit entfernt.
Die „große Konkurrenz“ im Mittelfeld des Rekordmeisters ist dem Confed-Cup-Sieger natürlich aufgefallen. „Voll angreifen, Leistung bringen und verbessern“ ist aber schwer möglich, wenn die Einsatzzeiten derart begrenzt sind. Am Samstag profitierte Rudy vom Ausfall das Magen-Darm-geschwächten Javi Martinez. Mit der Rolle als einziger Sechser hinter den beiden offensiver eingestellten Arturo Vidal (stark) und Corentin Tolisso (durchschnittlich), war er lange überfordert. Sowohl Heynckes’ Kritik am „fehlenden Zugriff im Mittelfeld“ als auch den zweiten Gegentreffer durch Serge Gnabry durfte Rudy zu einem großen Teil persönlich nehmen. Es gab freilich in der starken zweiten Halbzeit der Bayern auch gute, strategisch wichtige und effektive Aktionen des Nationalspielers. Aber auch viel, viel Luft nach oben.
Mit zahlreichen Einsätzen unter Ancelotti – durchschnittlich stand Rudy knapp 60 Minuten auf dem Platz – überraschte er viele. „Integration im Schnelldurchlauf“, „neuer Xabi Alonso“, „Schnäppchen-Stratege“ – es gab Lob aus allen Richtungen. Die Realität im Luxus-Kader des FC Bayern kriegt Rudy erst seit der Amtsübernahme von Heynckes zu spüren. Aktuell muss er sich im Konkurrenzkampf mit Vidal, Tolisso, Martinez, James und den bald genesenen Thiago hinten anstellen. In den Englischen Wochen und bei nahezu entschiedener Meisterschaft wird es Einsatzzeiten geben. Die wichtigen Spiele aber dürfte Rudy – Stand heute – von der Bank aus verfolgen.
Über das Risiko eines Wechsels nach München im WM-Jahr wurde im Fall von Sandro Wagner viel gesprochen. Bei Rudy und auch Niklas Süle (Heynckes: „Mehr als ein Stammspieler“) war das Thema eher zweitrangig. Rudy war beim Confed Cup ein Dauerbrenner, zog in Abwesenheit von Toni Kroos die Strippen im Mittelfeld, deshalb gilt er aktuell als gesetzt für die WM. Aber auch Joachim Löw schaut regelmäßig und genau darauf, was bei den Bayern passiert.
Vorzüge hat der ehemalige Hoffenheimer Kapitän ja allemal. Unter anderem einen ruhigen Fuß, viel Übersicht und die Gabe, auch als Rechtsverteidiger eingesetzt werden zu können. Nicht nur mit dieser Flexibilität erinnert er an einen anderen ablösefreien Transfer, den die Bayern vor nicht allzu langer Zeit getätigt haben. 2014 holte der Rekordmeister Sebastian Rode aus Mainz, stattete ihn mit einem Vierjahresvertrag aus, ließ ihn mal mehr (Saison 2014/15), mal weniger (Saison 2015/16) spielen, um ihn dann für rund 13 Millionen Euro zu verkaufen. Es gibt schlechtere Geschäftsmodelle. Im Fall Rudy ist also für beide Seiten noch alles drin.