Australiens etwas anderer Tennis-Held

von Redaktion

Nick Kyrgios ist nicht immer smart, sondern auch mal patzig – „Er ist ein echter Diamant“, schwärmt Boris Becker

von doris henkel

Brisbane – Nick Kyrgios saß neben seinem Kapitän, Lleyton Hewitt, und es sah so aus, als habe er mit der Zeremonie der Auslosung nicht viel am Hut. Manchmal blickte er ins Leere, zwischendurch gähnte er. Als er gefragt wurde, ob sein australisches Team das Spiel der ersten Runde gegen Deutschland gewinnen könne, hob er kaum den Kopf und knurrte: Yeah. Die knappe Begründung: „Ich bin immer zuversichtlich.“ Bei seinem kurzen öffentlichen Auftritts am Brisbane River zeigte sich der aktuell beste australische Tennisspieler von seiner sperrigen Seite – schwankend zwischen kurz angebunden und desinteressiert.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Denken in Schablonen bringt einen nicht weiter bei Nicholas Kyrgios, dem in Canberra geboren Sohn einer Malaiin und eines Griechen. Er kann patzig und widerspenstig sein, zärtlich und zugewandt im Umgang mit seiner Freundin und Kollegin Ajla Tomljanovic, auch großherzig engagiert für seine Stiftung (NKF), die unterprivilegierte Kinder unterstützt. Und er ist ein aufmerksamer, am Wohlergehen seiner Mitspieler interessierter Kollege.

Weil sie sich für diese Seiten weniger interessierten als für seine Aussetzer aus dem Tennisplatz und weil sie fanden, er verschleudere sein Talent, taten sich die Australier lange Zeit schwer mit ihrem Nick. Sie sehnten sich nach einem unkomplizierten Sieger wie dem allseits geliebten Patrick Rafter, dem Australier des Jahres 2002.

Mit Lleyton Hewitt, der jüngsten Nummer eins des Männertennis, war es anfangs nicht groß anders. Selbst bei dessen Triumph in Wimbledon 2002 brach nicht der ganzen Kontinent in Jubel aus. Inzwischen bestimmt Hewitt die Geschicke des australischen Tennis so souverän, dass alle auf ihn hören. Und wenn der Kapitän des Davis Cup-Teams versichert, Nick Kyrgios sei auf dem richtigen Weg, dann hat das Gewicht. „Ich bin sehr zufrieden, wie sich sein Spiel und seine Gedanken entwickeln“, sagt der Chef. Hewitt glaubt, die starke Auftritte seines besten Mannes im Davis Cup 2017 hätten für dessen Entwicklung viel in Gang gebracht.

Das sieht Kyrgios genauso. Der sagt, im Gegensatz zu früher habe er eine bessere Vorstellung von seiner Karriere und ein klareres Ziel. Im vergangenen Jahr habe es Phasen gegeben, in denen er nur auf den Platz gegangen sei, um auf den Platz zu gehen, inzwischen sei er mit den Gedanken voll dabei. Die Diskussion darüber, ob er nicht endlich einen festen Coach brauche, flauen ab. „Ich habe in diesem Jahr erst ein Spiel verloren“, sagt er, „also komme ich wohl gut klar. Ich will meine Freiheit haben.“

Die Dinge sind unübersehbar in Bewegung geraten. Vor einem Jahr bekam Kyrgios bei den Australian Open Pfiffe zu hören, als er in der zweiten Runde geschlagen vom Platz ging. Diesmal, nach einer Niederlage im Achtelfinale gegen Grigor Dimitrov, wurde er mit Ovationen verabschiedet, weil die Leute fanden, er habe grandios gespielt und alles versucht.

Wenn einer weiß, wie es ist, im grellen Licht des öffentlichen Interesses erwachsen zu werden, dann ist das sicher der Chef des deutschen Männertennis. „Kyrgios ist ein echter Diamant, was Tennisspielen angeht, aber noch ein junger Mensch“, sagt Boris Becker, zur Nummer eins der gegnerischen Mannschaft an diesem Wochenende in Brisbane befragt. „Das sind keine Computer, keine gemachten Spieler, das sind Persönlichkeiten. Das sehe ich auch bei unserem Mann, Sascha Zverev – wenn die alle 08/15-Typen wären, würden sie nicht die Leistung bringen.“

Alexander Zverev und Alex de Minaur eröffneten in der Nacht das Davis Cup-Duell. Danach standen sich Jan-Lennard Struff und Kyrgios gegenüber. Das Aufeinandertreffen von Kyrgios, dem besten Australier, und Zverev, dem besten Deutschen, könnte ein Kracher werden am Sonntag. Zverev findet, Kyrgios komme ihm seit dessen Turniersieg Anfang Januar in Brisbane noch motivierter vor. Was Kyrgios mit seinen 22 Jahren von all dem hält? „Ich spiele das Spiel so, wie ich es mir vorstelle. Ich mach einfach nur mein Ding.“

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