Als würde die Regierung im Verfassungsgericht mitmischen

von Redaktion

Die Welt-Anti-Doping-Agentur soll den Sport überwachen – nur wird sie selbst von mächtigen Funktionären beeinflusst

von Nico Horn

München – „Die Bühne ist bereit“ – so lautet die Standardfloskel vor Olympischen Spielen. Auch im Vorlauf der Winterspiele in Pyeongchang war dieser Satz wieder zu vernehmen. Diesmal von Thomas Bach, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Nur für wen ist die Bühne bereit?

Sicher ist: Wenn an diesem Freitag die Winterspiele beginnen, werden unter den knapp 3000 Athleten wieder gedopte Sportler sein. Daran ändert auch der Ausschluss einiger weniger Russen nichts. Der Betrug mit den leistungssteigernden Mitteln ist das Symptom eines kränkelnden Anti-Doping-Systems.

Der neueste Aufreger hat direkte Auswirkungen auf die Wettkämpfe in Südkorea. ARD-Journalisten führten vor, dass die Behälter mit den Dopingproben geöffnet werden können, ohne dabei das Siegel zu beschädigen. Aus positiven Proben könnten unbemerkt negative werden. Das gesamte Anti-Doping-System steht in Frage – nicht zum ersten Mal.

An der Spitze dieses Systems steht die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). Eine Organisation, der es nicht erst seit der jüngsten Panne an Glaubwürdigkeit fehlt. Um das zu erklären, muss man auf ihren Platz im Netzwerk des Weltsports blicken.

Die WADA wurde 1999 gegründet – nachdem zahlreiche Dopingskandale das IOC in Bedrängnis gebracht hatten. Man traute dem Komitee nicht mehr zu, sich in Eigenverantwortung um die Doping-Politik zu kümmern. Weil das IOC aber nur ungern Macht abgibt, musste die WADA möglichst gut kontrollierbar sein. Dieses Ziel erreichten die Olympier, indem sie die Agentur finanziell von sich abhängig machten. Dafür genügt bereits ein Budget von 15 Millionen Euro – rund ein Prozent des jährlichen IOC-Einkommens. Zudem sicherte sich die Herren der Ringe ausreichend Mitsprache im obersten Entscheidungsgremium der WADA zu. Sechs der zwölf Mitglieder des Exekutivkomitees sind Teil der olympischen Bewegung, vier davon gehören dem IOC an.

Der Sport kontrolliert sich quasi selbst. Das wird von vielen hingenommen, ist aber zweifelhaft. Zum Vergleich: Es wäre für ein Mitglied der Bundesregierung gar nicht erst möglich, Teil des Bundesverfassungsgerichts zu sein. Im Sport ist Selbstkontrolle dagegen Normalität.

Seit Jahren fordern nationale Anti-Doping-Agenturen und Athletenvertretungen daher den Rückzug des IOC aus der WADA. Anstelle der Sportfunktionäre wollen sie unabhängige Experten einbinden.

Nun könnte man einwenden, die Besetzung des Gremiums sei nur eine Formalität, schließlich komme es auf die Einstellung der Doping-Bekämpfer an. In Ansätzen bestätigt hat sich diese Sichtweise durch die Arbeit Richard Pounds. Der Kanadier war der erste Präsident der WADA und ist zugleich das dienstälteste IOC-Mitglied. Den Anti-Doping-Kampf hat er vorangetrieben. Unter seiner Führung wurde der seit 2004 gültige Welt-Anti-Doping-Code entworfen. Wer an Olympia teilnehmen will, muss diesen unterschreiben, auch das IOC verpflichtet sich ihm. In solchen Momenten erweckte die WADA den Anschein einer unabhängigen Organisation. Ein Trugschluss, wie die letzten Jahren offenbarten.

Seit 2014 ist Craig Reedie Vorsitzender der WADA. Unter dem Briten wirkt sie aber eher wie eine Marionette des IOC, wie ihr Verhalten nahelegt. Längst ist bekannt, dass schon vor den Winterspielen 2014 russische Sportler gegenüber der WADA von systematischem Doping in ihrem Land berichtet hatten. Doch anstatt den Vorwürfen nachzugehen, leitete die Agentur diese einfach an die Russen weiter. Reedie aber durfte im Amt bleiben. Wie viele andere WADA-Funktionäre zählt er zu den Unterstützern von IOC-Präsident Bach. Das verwundert kaum, schließlich möchte man als Funktionär Karriere machen – am liebsten im Exekutivkomitee des IOC, dem Bach vorsteht.

Besonders eindrucksvoll belegen diesen Zusammenhang die Fälle von Claudia Bokel und Ugur Erdener. Die frühere Fechterin Bokel und der türkische Augenarzt Erdener, beide seit 2008 IOC-Mitglieder, arbeiteten gemeinsam in einer Kommission, die vor den Sommerspielen 2016 in Rio über den Ausschluss Russlands beriet – und kamen zu verschiedenen Ergebnissen. Bokel wollte eine Komplettaussperrung erwägen, Erdener, selbst WADA-Exekutivmitglied, setzte sich – wie auch Bach – dagegen ein. Die Folge: 2016 musste Bokel ohne Beförderung turnusmäßig aus dem IOC ausscheiden, Erdener stieg zum IOC-Vizepräsidenten auf.

Das IOC hat ein persönliches Netzwerk in die WADA hinein gesponnen. Man täte den vielen engagierten Mitarbeitern aber unrecht, ihre Arbeit als ineffektiv abzustempeln. Nur verhindern die strukturelle und persönliche Abhängigkeit der WADA gegenüber dem IOC, dass sich die Agentur als Organisation ein Gewissen zulegen kann.

Darunter leiden vor allem die sauberen Athleten. Medaillenspiegel sind heute kaum etwas wert, zu oft werden Sieger nachträglich überführt. In Pyeongchang sind nun nicht mal sichere Dopingkontrollen garantiert. Die Bühne scheint bereit für schmutzige Spiele.

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