Pyeongchang – Es war eine Nacht, in der Johannes Ludwig nicht mehr aus dem Staunen herausgekommen ist. „Ich bin in meinem Leben noch nie so gefeiert worden“, sagte er nach seinem Besuch im Deutschen Haus. Und mindestens so bewegend fand er, was zuvor auf der Eisbahn passiert war: „Das war der glatte Wahnsinn.“ Der Rodler aus Suhl hatte überraschend Bronze gewonnen. Im Grunde nicht das ganz große Ding im goldverwöhnten deutschen Rodelsport. Für Ludwig spiegelte sich in dieser Medaille jedoch der Ertrag seiner langen und eher unspektakulären Karriere wider. Morgen feiert der Mann aus Suhl seinen 32. Geburtstag, in Pyeongchang tritt er als Olympia-Debütant an. Ein Spätberufener also, der nicht immer auf der Sonnenseite seines Metiers stand.
Zweimal schon war Ludwig an der internen Qualifikation für Winterspiele knapp gescheitert. Jeweils als Vierter. „Die Konkurrenz in Deutschland ist hart“, sagte er. Und bisweilen beschlichen ihn da trübe Gedanken. „Ich habe mich da schon gefragt: Soll ich mir das noch antun?“ Schließlich hatte sich der Familienvater (zwei Kinder) zwei berufliche Standbeine aufgebaut. Als Polizeivollzugsmeister könnte er sofort in den Dienst einsteigen. Am liebsten „zur See“, sagte er. Zudem schloss der Thüringer ein BWL-Studium ab. „Ich bin gut aufgestellt. Doch am Leistungszentrum in Oberhof habe er „ein schönes Umfeld“ gefunden. Er machte weiter, auch aus Leidenschaft: „Rodeln ist meine Passion.“
Immerhin holte Ludwig vor einem Jahr Teamgold, 2013 gab’s WM-Bronze im Einsitzer. In Südkorea aber erlebte er seinen sportlichen Höhepunkt. Und sein bislang dramatischstes Rennen. Erst der kapitale Favoritensturz von Felix Loch, der im letzten Durchgang von Rang 1 auf 5 zurückfiel, bescherte ihm den Platz auf dem Podest. „Das war ein Auf und Nieder“, beschrieb er das turbulente Finale: „Ganz Rodeldeutschland war zunächst enttäuscht. Auch ich habe die Hände über den Kopf zusammengeschlagen und gesagt: Jetzt haben wir Gold verloren!“ Erst dann sei ihm klar geworden: „Ich habe Bronze gewonnen!“
Ludwig fand sich im Zwiespalt der Gefühle wieder: „Ich wusste gar nicht, ob ich lachen oder mich freuen sollte. Aber ich glaube, Felix hat’s mir nicht übel genommen, dass ich den Moment genossen habe.“ Am nächsten Morgen sah er sich im Fernsehen das Rennen noch einmal an. Sein Gesamteindruck: „Das war echt ein Krimi, mich hat es fast aus dem Bett gehauen.“ Er bedauerte dabei aber auch den Kollegen Loch: „Das war für ihn ein ganz bitterer Moment.“
Loch, der die Rodel-Szene jahrelang beherrscht hatte, patzte in der Kurve neun. Also am neuralgischen Punkt der Bahn. „Normalerweise müssten wir in so einer Kurve 30 Grad mehr nach rechts fahren können. Das ist eine komplett beschissene Durchfahrt. Da hat jeder einen mehr oder weniger großen Fehler gemacht“, sagte er über die Schlüsselstelle. Er hatte jedenfalls als deutlich Führender Gold schon vor Augen, als das Malheur seinen Lauf nahm: „Ich bin zu spät und leicht zu stumpf reingefahren, dadurch hatte ich die Höhe – wie wir sagen – zu früh. Dann hat man keine Chance mehr, da vorbeizukommen. Ich habe noch versucht, es auszulenken, aber es war einfach nicht möglich. Da war nichts zu retten.“ Somit gewann mit dem Österreicher David Gleirscher ein Außenseiter. Der 23-Jährige hatte bislang als bestes Ergebnis einen 7. WM-Platz vorzuweisen.
Loch wollte sich von der schweren Schlappe aber nicht groß erschüttern lassen. „Es geht weiter – auf jeden Fall bis zu den Olympischen Spielen 2022 in Peking“, sagte er. Auch Ludwig hat offenbar noch längst nicht genug. Sein Trainer sage zwar: „Du bist einer der Alten.“ Aber die Bronze-Plakette von Pyeongchang sieht der fast 32-Jährige nun als Ansporn: „Ich habe eine gute Basis gelegt, weiterzumachen.“ Bei diesen Spielen wird er übrigens nochmals im Einsatz sein. Dank seines Einsitzer-Resultats wird Ludwig anstelle von Loch beim Team-Wettbewerb starten. Und da sind die Deutschen Gold-Favorit.