Olympisch beseelte Randfiguren

von Redaktion

Von Günter Klein

Pyeongchang/München – Vor zwei Jahren um diese Zeit war wieder ein 1976er-Jubiläum. Das bayerische Fernsehen brachte die Bronze-Gewinner von Innsbruck, soweit noch am Leben, wieder zusammen, drehte eine schöne Dokumentation, an deren Ende der immer noch ungläubige Alois Schloder sagt: „Und da stehst da als deutscher Eishockeyspieler neben den Russen und Tschechen auf dem Podium. . .“ Die Vorpremiere des Films lief in München im Kino am Sendlinger Tor, Gast war auch der aktuelle Bundestrainer Marco Sturm (Jahrgang 1978). Er sicherte sich gleich eine DVD, „und einige Szenen daraus habe ich bei unserer Heim-WM 2017 zur Motivation verwendet“.

In einem sportlich nicht ganz hochwertigen Turnier (Kanada fehlte aufgrund der Amateurbestimmungen, Schweden konzentrierte sich lieber auf die WM zwei Monate später) holten die Deutschen vor 42 Jahren Bronze, was sie erst Stunden später nach Durchsicht des Reglements realisierten – sie lagen beim Torquotienten um 0,041 vor Finnland. Diese wundersame Geschichte kann sich so nicht mehr wiederholen, weil es nach einer Gruppenphase (dreimal vier Teams) im K.o.-Modus weitergeht. Doch in die Nähe einer Medaille zu kommen, davon wird zumindest geträumt. Bei Normalbesetzung des Turniers wäre das nicht möglich, unter den gegebenen Umständen stehen die Chancen besser.

Nachdem sie seit 1998 für das Olympiaturnier stets pausiert und ihre Profis zu den Nationalmannschaften geschickt hatte, fand die National Hockey League (NHL) für Pyeongchang keinen Konsens mit IOC und Eishockey-Weltverband IIHF. Zu klein ist der südkoreanische Markt, Peking in vier Jahren riecht nach mehr Geld, da wird die NHL wohl wieder mitspielen.

Die deutsche Mannschaft wäre mit ihren Cracks aus Nordamerika (die Torhüter Grubauer und Greiss, die Verteidiger Dennis Seidenberg und Holzer, die Stürmer Draisaitl, Rieder, Kühnhackl) mindestens eine Klasse besser als jetzt, allerdings sind Kanada, USA, Schweden, Finnland, Tschechien, das Team der Olympischen Athleten aus Russland stärker und die Schweiz genauso betroffen. Die Frage ist also, wem von den ersten acht der Weltrangliste (Deutschland ist Achter) die Absenz von NHL-Leuten am meisten schadet und wie sich dadurch die Gewichte verschieben – wenn die tausend besten Spieler der Welt nicht verfügbar sind.

Finnland und Schweden, neben Norwegen deutscher Gruppengegner, greifen auf die zweite Reihe ihrer Legionäre zurück, die in der russischen Kontinental Hockey League (KHL) spielen, die USA schaute sich in der Schweiz um und berief auch den Kasseler Zweitligaspieler James Wisniewski, Kanada hat sogar einen Spieler dabei, der sich beim chinesischen Klub Kunlun Red Star verdingt. Nominell fällt Deutschland nicht so sehr ab, wie das in einem prominent besetzten Turnier der Fall wäre.

Man will die Sache mit unkomplizierter Mentalität angehen. Die deutsche Eishockey-Mannschaft war wie Fahnenträger Eric Frenzel von den Anreisewirren (in München sechs Stunden zu spät weggekommen) betroffen, klagte aber nicht und ergriff die Chance, dass auch Lindsey Vonn unter den Wartenden weilte.

„Erstes Bully an den DFB“, twitterte einer, der auf der Maschine war. Nach der Aufmerksamkeit des amerikanischen Skistars erfuhren die Eishackler in Pyeongchang dann noch die von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der ihr Training besuchte. Ganz schön viel Erlebniswert für deutsche Eishockeyspieler, die im normalen Sportbetrieb nur Randfiguren sind – und die Economy Class hatten fliegen müssen, weil man ihnen eine Medaille nicht zutraut und das Privileg des Upgrades den aussichtsreichen Einzelstartern zukommt.

Stört Sturms Cracks aber nicht. Sie sind ganz beseelt vom olympischen Erlebnis, nur drei (Christian Ehrhoff, Marcel Goc, Dennis Endras) der 25 Nominierten waren schon bei den Spielen; Sotschi 2014 hat das Team verpasst. Der einzige Deutsche, der vor vier Jahren eine Rolle spielte, war Franz Reindl als Vorsitzender des Disziplinarausschusses, der strittige Szenen bewertete und Sanktionen aussprach. Jetzt, wo die eigene Mannschaft teilnimmt, darf DEB-Präsident Reindl nicht richten und ist dafür als Mitglied des IIHF-Direktorats beobachtend vor Ort. Es werde nicht stressig, meint er, und dass er sich aufrichtig freue auf interessantes Eishockey. Mit ungewisserem Ausgang als üblich.

Marco Sturm hat sich eine Mannschaft gebastelt, in der Vereinsblöcke aus München, Mannheim, Köln das Gerüst bilden; die Spieler sind mit seinem System vertraut, für einige ältere Semester könnte Olympia den Abschluss der internationalen Karriere bilden. Nach typischer Eishockey-Art wird „von Spiel zu Spiel gedacht“ (Sturm) und Optimismus geäußert. „Ich hätte nichts dagegen, sieben Spiele zu machen“, sagt der Nürnberger Yasin Ehliz. Dann wäre man mindestens im Match um Bronze.

Beim Deutschland-Cup im November zeigte das DEB-Team mit einem 5:1 gegen die USA, was in die positive Richtung möglich ist. Das 2:8 gegen eine russische Auswahl indes offenbarte, was passieren kann, wenn ein starker Gegner aufdreht.

Nur zwei der russischen Spieler aus der damaligen Mannschaft haben es in die Olympia-Mannschaft der OAR (offizielle Bezeichnung des Teams) geschafft. Die verkappte Sbornaja wird als Hauptfavorit genannt. Während Olympiasieger Kanada nur eine zusammengewürfelte Truppe aufbieten kann, kommt OAR mit guter alter Sowjet-Struktur. Vierzehn St. Petersburger, neun von ZSKA Moskau, zwei Magnitogorsker – eine Ansage für Gold.

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