Tüfteln bis zur letzten Sekunde

von Redaktion

Der Berchtesgadener Lochner hat seinen Bob in Pyeongchang noch mal „komplett zerlegt“ – und will nun Edelmetall

von hanna raif

München/Pyeongchang – Wenn ein Verband viel Geld in die Hand nimmt, um jedem seiner Athleten das bestmögliche Material zur Verfügung zu stellen, verfolgt er eigentlich einen klaren Plan. Optimalerweise gegen Ende der Weltcup-Saison, spätestens aber bis zur Abreise zum Saisonhöhepunkt sollten die Sportgeräte vertrauenswürdig und vor allem konkurrenzfähig sein. Aber was ist bei diesen schweren Jungs im Eiskanal schon normal?

„Wir haben hier noch mal die ganze Kiste zerlegt“, sagt Johannes Lochner. Mit „hier“ meint der Bobpilot aus Berchtesgaden Pyeongchang und mit der „Kiste“ den Schlitten, mit dem er an diesem Sonntag in die Olympische Zweier-Konkurrenz startet. Es ist ein Fabrikat des österreichischen Herstellers Johannes Wallner, eines Tüftlers, der auch gerne bis zur allerletzten Sekunde am Feinschliff arbeitet. Bei Lochner allerdings sind Überstunden jeglicher Art für den Tiroler ohnehin eine Herzensangelegenheit. Zum einen, weil die beiden generell auf einer Wellenlänge sind, und zum anderen, weil der Vierer-Weltmeister der einzige der drei deutschen Piloten ist, der in beiden Konkurrenzen in Pyeongchang in seinem Schlitten an den Start geht.

Die Materialfrage hat das Herren-Team von Bundestrainer Rene Spies nun zwei Winter lang begleitet. Hinter den Kulissen arbeiten das von Steuergeldern finanzierte FES und Wallner parallel, die Piloten hatten freie Wahl. Nach einem langen Hin und Her startet Serien-Weltmeister – und laut Lochner „natürlich auch Favorit“ – Francesco Friedrich im Zweier genau wie sein Oberbärenburger Kollege Nico Walther im FES-Gefährt. Lochner hofft indes, beim erneuten Umbau seiner „Wallners“ die richtige Einstellung für die knifflige Bahn gefunden zu haben. Alle drei eint der unbedingte Wille, das medaillenlose Debakel der Spiele von Sotschi vergessen zu machen.

Die Entscheidung im Zweier wird „die engste in der Geschichte der Spiele“, sagt Bundestrainer Rene Spies. Denn nicht nur im deutschen Team, sondern in der gesamten Weltspitze ist die Leistungsdichte enorm. Die „vier, fünf Zehntel“, die laut Lochner das Material in vier Läufen ausmachen kann, „sind auch schnell wieder weg, wenn man die Bahn nicht trifft“. Der 27-Jährige lacht, als er seine persönliche Trainingsbilanz der kniffligen „Kurve 9“ zieht: „Von 40 Fahrten habe ich zwei getroffen.“ Wie groß der Vorteil des Koreaners Won Yun Yong ist, der den Weltcup zu einem großen Teil ausließ und insgesamt bereits 400 Läufe im „Alpensia Sliding Center“ absolviert hat, wird anhand dieser Zahlen noch deutlicher.

Das ändert allerdings nichts daran, dass Lochner um eine Medaille kämpft. Drei Läufe, sagt er, müsse man dafür auf der perfekten Linie fahren. Und mit Edelmetall in der Tasche würde es sich in der Vierer-Entscheidung am letzten Olympia-Wochenende „deutlich entspannter“ starten lassen. Dort ist er als Gesamtweltcup-Sieger Favorit. Obwohl sein Bob – auch das in letzter Sekunde – noch mal umbesetzt wurde.

Lochner spricht nicht allzu gerne über die Turbulenzen, die ihn bis zum Abflug begleitet haben. Alles im allem aber bezeichnet er die Affäre um seinen Anschieber Joshua Bluhm als „absoluten Kindergarten“. Weil der ehemalige Stamm-Bremser im Zweier aus Leistungsgründen Christopher Weber den Vorzug geben musste, war die Stimmung im Team so schlecht, dass Bluhm letztlich suspendiert wurde. Er blieb daheim, und „nun“, sagt Lochner, „verstehen wir uns alle super“. Er stellt klar: „Das sollen die schönsten drei Wochen meines Lebens sein. Die lasse ich mir nicht versauen.“

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