14 Zentimeter fehlen zu Gold

von Redaktion

Erst traurig, dann überglücklich: Schempp holt im Biathlon-Massenstart Silber – Lesser und Doll gehen knapp leer aus

Von Armin Gibis

Pyeongchang – Simon Schempp bog seinen Oberkörper ruckartig nach hinten, als hätte er einen schmerzhaften Stromschlag erhalten. Eben hatte die Anzeigentafel aufgeblinkt: Dort stand vor dem Namen Schempp eine 2. „Im ersten Moment habe ich mir gedacht: Shit“, sagte er. In einem Massenstartrennen, das sich zu einem hochdramatischen Schauspiel entwickelt hatte, war der Schwabe hauchdünn geschlagener Zweiter geworden. 14 Zentimeter – so offenbarte das Zielfoto – trennten ihn von Gold, das Martin Fourcade dank eines glücklich gesetzten Ausfallschritts gewann. Doch im zweiten Moment, so Schempp, „bin ich überglücklich mit Silber gewesen“.

Wie knapp es hergegangen war, zeigte die erste Reaktion von Fourcade nach der Ziellinie. Am Boden liegend schlug der Franzose wütend seinen Stock in den Schnee. „Ich war mir sicher, dass mich Simon geschlagen hatte“, sagte er später. Der in dieser Saison lange Zeit von Rückenproblemen schwer geplagte Schempp schien sich im Finale dieses epischen Duells Zentimeter für Zentimeter an dem nun vierfachen Olympiasieger vorbeizukämpfen. „Noch ein paar Meter mehr und ich wäre vorn gewesen“, sagte der Biathlet von der Ski-Zunft Uhingen. Nach seiner Schuhgröße befragt, sagte Schempp: „Zwei Nummern zu klein.“

Es gab sogar noch einen zweiten Zielsprint mit deutscher Beteiligung. Erik Lesser und der spätere Fünfte Benedikt Doll lieferten sich einen Dreikampf mit Emil Hegle Svendsen um Bronze. Auf der Schlussgeraden setzte sich der Norweger um 0,4 Sekunden von Lesser ab. Der Thüringer, der nach dem ersten Stehendschießen zusammen mit Fourcade und Schempp sogar an der Spitze gelegen hatte, nahm das knappe Scheitern jedoch relativ gelassen: „Ich gehe zwar mit der Holzmedaille nach Hause. Aber ich kann mit meiner Leistung absolut zufrieden sein.“

Auf dem Papier mag es vielleicht Verlierer gegeben haben an diesem so aufregenden Abend im Alpensia-Stadion von Pyeongchang. Aber am Ende sah man fast nur glückliche Gesichter. Denn es gab da einen Sieger, der alles überragte: der Biathlonsport. „Das war ein Riesenfight, der geht in die Geschichte ein“, sagte der deutsche Co-Trainer Andi Stitzl mit sich überschlagender Stimme.

Dass es für die famosen Deutschen auch Gold und Bronze hätte geben können, es schließlich nur Silber wurde, schien die Hochstimmung kaum trüben zu können. „Wir fahren als Team ein wahnsinniges Olympia ab. Und das war heute die Krönung“, sagte Stitzl: „Dieser Kampf, den sich alle geliefert haben – der totale Wahnsinn! Mit Attacken und allem Drum und Dran. Das macht Biathlon aus.“

Stitzl war auch einer der Ersten, der sich um den viertplatzierten Lesser kümmerte. „Ich hab Erik in den Arm genommen und habe Tränen in den Augen gehabt“, sagte der temperamentvolle Oberbayer, „man kann so was von stolz sein auf die Jungs.“ Cheftrainer Mark Kirchner gab sich – wie gewohnt – etwas nüchterner. Für seine Verhältnisse reagierte er aber fast schon überschwänglich: „Das war ein überragendes Ergebnis von der ganzen Truppe – Riesenkompliment für eine Topleistung.“ Wie seine Herzfrequenz gewesen sei? Kirchner: „Das möchte ich niemandem zumuten.“ Als sich das Stadion schon fast geleert hatte, nahmen die deutschen Betreuer und Athleten noch Simon Schempp auf die Schultern und feierten ihn lautstark jubilierend wie den Sieger. Er hatte es sich verdient.

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