Claudia Pechstein

Die Wutläuferin

von Redaktion

Man kann Claudia Pechstein sicher auch als einzigartige Sportlerin schätzen. Fünf Olympiasiege hat sie errungen, dazu ein Unzahl internationaler Medaillen. Die Eisschnellläuferin hat trotz einer umstrittenen Dopingsperre weitergekämpft, sich nicht unterkriegen lassen. Und sie hat es sogar fertig gebracht, die biologische Altersuhr zu verlangsamen, zu einem Phänomen zu werden. In drei Tagen feiert sie ihren 46. Geburtstag – Esmee Visser, die Olympiasiegerin über 5000 Meter, ist nicht einmal halb so alt.

Doch es gibt auch eine andere Claudia Pechstein. Zum Beispiel die streit- und reizbare Sportlerin, die sich einst mit ihrer Inzeller Rivalin Anni Friesinger anlegte – ein Zwist, der in die deutschen Sportannalen als „Zicken-Krieg“ einging. Auch in der Kontroverse mit Stephanie Beckert (29 inzwischen), die als größte deutsche Eisschnelllauf-Hoffnung galt, fuhr sie die Krallen aus. Die sensible, der zankerprobten Pechstein nicht gewachsenen Beckert, in jungen Jahren bei Olympia immerhin bereits dreifache Medaillengewinnerin, landete im Dauer-Formtief.

Pechsteins Hauptfeind aber ist der Eisschnelllauf-Weltverband ISU. Diesem lastet sie ihre Zweijahressperre (2009 bis 2011) wegen einer Blutanomalie an. Die Berlinerin wurde damals um die Olympiateilnahme in Vancouver (2010) und wohl um weiteres Edelmetall gebracht. Auch wenn inzwischen Gutachten vorliegen, die ihr genetisch bedingte Blutwerte bescheinigen und sie von der Doping-Schuld freisprechen, hat die ISU bis heute nicht darauf regiert. Pechstein – das betont sie immer wieder – schöpft somit all ihre Motivation aus dem brennenden Zorn auf die ISU-Funktionäre. Sie ist zur Wutläuferin geworden, die auf Revanche sinnt. Nicht positive sondern negative Energien treiben sie an. Eine Eigenschaft, die selten glücklich macht im Leben. Und nicht ganz untypisch war, dass Pechstein nun in Pyeongchang das Protokoll eines ihrer Meinung nach aufdringlichen Dopingkontrolleurs kurzerhand zerriss.

Doch trotz aller aktuellen Enttäuschung, ihr Ziel war ja eine Medaille gewesen, wird Pechstein keine Ruhe geben. Die Wutläuferin wird nicht vom Eis weichen, sie wird auch im für Leistungssportler biblischen Alter weitermachen, sie will – so hat sie trotzig angekündigt – 2022 bei den Winterspielen in Peking als 50-Jährige um eine Medaille kämpfen. Doch selbst wenn ihr dieses Sportwunder gelingen sollt: Ihren Frieden wird Claudia Pechstein wohl selbst dann nicht finden.

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