Pyeongchang/München – Vor zehn Tagen hat der Norweger Johannes Hösflot Kläbo dem schnellsten Mann der Welt einen kleinen Wettkampf angeboten: Ein 100-Meter-Rennen, im Central Park in New York City. Er, Kläbo, werde natürlich seine Langlauf-Ski anschnallen – und Usain Bolt, der König der Sprinter, dürfe wie immer in seine Laufschuhe schlüpfen.
Diese Idee sprudelte aus Kläbo hervor, nachdem er im Langlauf-Sprint von Pyeongchang seine erste olympische Goldmedaille erobert hatte. Spontan wird der Einfall nicht gewesen sein, der Norweger weiß natürlich, dass es ihm gewiss nicht schadet, sich auf einen PR-Flirt einzulassen mit Bolt, dem Liebling der Sportwelt. Und doch darf man sich ein wenig wundern, dass Kläbo, 21, am erst sechsten Olympia-Tag seines Lebens den Vergleich mit dem Superstar aus Jamaika suchte.
Zehn Tage später hat Kläbo drei Goldmedaillen eingesammelt (Sprint, Team-Sprint, Staffel) und beschlossen, dass das fürs Erste eigentlich auch reicht. Vor dem finalen 50-Kilometer-Rennen reiste er in seine Heimat zurück. Er sagte, er habe genug.
Die Geschichte des jungen Langläufers ist nur eine, die belegt, mit welchem Selbstverständnis die norwegischen Athleten die Spiele in Südkorea dominieren. Schon jetzt haben sie mit 37 Medaillen (13 x Gold, 14 x Silber, 10 x Bronze) einen neuen olympischen Rekord aufgestellt. Da war es nur konsequent, dass die Langläuferin Marit Björgen, 37, in Pyeongchang mit dem Gewinn ihres 14. Edelmetalls zur erfolgreichsten Medaillensammlerin in der Geschichte der Winterspiele aufgestiegen ist – und fast noch konsequenter, dass sie in dieser Rangliste einen anderen Norweger abgelöst hat: den Biathleten Ole Einar Björndalen, der sich mit 44 Jahren eigentlich noch bereit gefühlt hatte, in Südkorea mitzumischen. Nur nominierte ihn der eigene Verband nicht. Die anderen waren einfach besser.
Die Entscheidung im Fall Björndalen beschreibt den Zustand des norwegischen Wintersports ziemlich gut. Weil stets neue Athleten an die Weltspitze drängen, werden alten Helden früher oder später aussortiert. Das Goldpotenzial scheint nicht zu versiegen in dem Land, das nur knapp 5,3 Millionen Einwohner zählt. Wie kann das sein?
Nun kann man zunächst auf das Offensichtliche hinweisen. Die Norwegen können sich „auf perfekte Witterungsbedingungen stützen – mehr Schneezeit, Schnee in den Städten, sodass viel Reisezeit eingespart werden kann“, wie Dirk Schimmelpfennig sagt, der deutsche Chef de Mission. Die Skifahrerin Ragnhild Mowinckel, die in der olympischen Abfahrt zu Silber gerast ist, spitzte diesen Umstand zu: „Wir sind mit den Skiern an den Füßen geboren.“
Der Standortvorteil alleine erklärt aber nicht, warum eine kleine Nation den Wintersport beherrscht. Um das zu verstehen, muss man in das Jahr 1988 zurückblicken. Nur fünf olympische Medaillen, keine aus Gold, entführten die Norweger damals aus Calgary. Und weil sie zugleich erfuhren, dass sie sechs Jahre später Heimspiele in Lillehammer ausrichten durften, brach in der Verbandsspitze Panik aus. Also reformierten die Norweger ihr Sportfördersystem. Unter der Organisation „Olympiatoppen“ vernetzten sie Wissenschaftler, Sponsoren und Athleten. Das reiche Norwegen tüftelte an Technik und Material – ein Faktor, der in fast allen Disziplinen bis heute an Bedeutung gewinnt. Das Ergebnis: Seit 1992 verpassten sie nur einmal, 2006 in Turin, einen Top-5-Rang im Nationenvergleich (siehe Statistik unten links).
Den modernen Ansatz verknüpften sie mit dem traditionellen Zugang, den sie zum Wintersport besitzen. Der österreichische Skisprung-Trainer Alexander Stöckl, der Norwegen zur besten Mannschaft im Weltcup geformt hat, sagte neulich im „Standard“: „Trotz aller Ablenkungen, die unsere Zeit mit sich bringt, ist für die Norweger der Weg in die Natur noch immer wichtiger. Die Familien gehen hinaus, egal zu welcher Jahreszeit, egal wie das Wetter ist.“
Das klingt romantisch, vielleicht sogar zu romantisch. Journalisten des norwegischen Rundfunks NRK haben herausgefunden, dass Norwegens Olympia-Delegation für die 121 Sportler in Südkorea 6000 Dosen Asthmamittel vorgesehen hat. Das sind fast 50 Dosen pro Athlet.
Asthmamittel stehen bis zu einer gewissen Dosos nicht auf der Verbotsliste, weiten aber die Bronchien. Dass im Spitzensport – und vor allem in Norwegen – derart viele Asthma-Fälle auftreten, wirkt zumindest verdächtig.
In manchen Fällen verfestigt sich der Verdacht zur Gewissheit, auch in Norwegen. Die achtfache Langlauf-Weltmeisterin Therese Johaug etwa fehlt in Pyeongchang, weil sie eine Doping-Sperre absitzt.
Es gibt übrigens noch einen Grund, warum man zweifeln darf. Der Medaillenrekord, den die Norweger geknackt haben, ist nur vier Jahre alt. In Sotschi sammelten die Russen 33 Medaillen ein – unter Anleitung eines staatlich-orchestrierten Dopingsystems.