Pyeongchang – Alfons Hörmann, 57, war schwer unterwegs in den vergangenen zwei Wochen. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) pilgerte in Pyeongchang von Wettkampf zu Wettkampf, kam im Deutschen Haus – manchmal bis zu später Stunde – ausdauernd seinen Pflichten nach, jettete übers Wochenende dienstlich nach Deutschland, traf am Mittwoch wieder in Südkorea ein und war am gleichen Abend schon Augenzeuge des historischen Viertelfinalsiegs der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft über Schweden. Im Interview mit unserer Zeitung sprach Deutschlands höchster Sportfunktionär über die Spiele in Pyeongchang – in all ihren Ausprägungen.
-Alfons Hörmann, man hat Sie zuletzt in Pyeongchang auch als Eishockeyfan gesehen. Wie war‘s?
Ich war live dabei beim Sieg über Schweden. Das war faszinierend, einfach legendär. Wieder einmal Emotionen und Spannung pur. Unglaublich.
-Die gute Stimmung im deutschen Team war in Pyeongchang ganz allgemein auffallend . . .
Ich sage es mal so: Die psychologischen Rahmenbedingungen passten rundum. Das fing schon Monate vor Olympia während der Vorbereitungen an und setzte sich während der Spiele fort. Wichtig war uns auch die Einbindung der Athletinnen und Athleten in die Konzeption „Deutsches Haus“. Dort finden sich deshalb Wohlfühlfaktoren, die auch dazu führen, dass sich der eine oder andere im entscheidenden Moment punktgenau bewährt. Nehmen wir Laura Dahlmeier, die bekanntermaßen nicht unbedingt als Feierbiest gilt. Aber sie war nach ihrem ersten Olympiasieg bis in der Früh um halb drei im Deutschen Haus und hat auf den Andreas Wellinger gewartet, der auch Gold gewonnen hatte. Laura ist dann zusammen mit Wellinger auf die Bühne – ohne, dass jemand von uns gesagt hätte: Bitte bleib oder du solltest jetzt unbedingt . . . Die Laura hat ganz gemütlich und in Ruhe ihre Stunden im Deutschen Haus genossen – und zwei Tage später noch eine zweite Goldmedaille gewonnen. So kann Teamstimmung überschwappen.
-Sie haben zu Beginn der Spiele erklärt, Sie würden lieber die Fairplay-Medaille in Empfang nehmen als den ersten Platz im Medaillenspiegel. Bleibt es bei dieser Feststellung nach all dem Rummel um die deutschen Erfolge?
Nicht zu nur 100 Prozent, sondern zu 110 Prozent. Wir sind sehr gut damit gefahren, im Vorfeld der Spiele von den üblichen Zielvereinbarungen und allzu starren Medaillenvorgaben wegzukommen. Es ist eindeutig erkennbar geworden, dass Fairplay und vorbildliches Auftreten einer Mannschaft in keinster Weise heißt, dass man sich vom Leistungssport abkehrt. Wir müssen den Athleten keine Zielstellung mit auf den Weg geben. Weil wir alle wissen, dass sie selbst viel klarere und stringentere Zielvorstellungen haben als wir die definieren können. Wir werden am Ende der Spiele wohl auf dem zweiten oder dritten Platz landen: Damit können wir bestens leben.
-Wer hat für Sie den Fairplay-Gedanken im deutschen Team besonders überzeugend verkörpert?
Vor allem jene, die verloren haben. Es ist ja weit einfacher, Fairplay und Teamorientierung zu leben, wenn du selbst erfolgreich bist. Also dass Dahlmeier den Wellinger beglückwünscht, dass ein Sieger dem anderen die Daumen drückt, das ist wunderschön, wertvoll und im Team von großer Bedeutung. Das trägt alles zur Stimmung bei. Viel schwerer aber war es dagegen für den Rodler Felix Loch: Er war für mich ein Musterbeispiel. Eine Stunde nach seiner großen Niederlage ist er auf die Bühne gegangen und hat Johannes Ludwig zu Bronze gratuliert. Und in den Folgetagen hat Felix den Kollegen sogar den Schlitten getragen. Er demonstrierte damit: Ich sehe mich jetzt in einer dienenden Rolle, um den Teamerfolg zu sichern.
„Leistungssport ohne Leistung – das funktioniert nicht“
-Man hat bei den Spielen in Pyeongchang – gerade aus deutscher Sicht – erlebt, was für eine Begeisterung Erfolge auslösen können. Dabei ist ja mittlerweile fast schon umstritten, Medaillen zu zählen oder sich für den Leistungssport auszusprechen. Wie sehen Sie das?
Leistungssport ohne Leistung, ohne Erfolgsorientierung, ohne die Zielstrebigkeit, im Idealfall Olympiasieger zu werden, funktioniert nicht.
-Als DOSB-Präsident konnten Sie allerdings nicht mit allen Sparten zufrieden sein . . .
Leider blieb den Alpinen bisher die Medaille versagt. Sie wurden unter Wert geschlagen. Bei Viktoria Rebensburg war es beispielsweise der berühmte eine Fahrfehler im Riesenslalom, der dazu führt, dass du dann eben knapp hinter den Medaillenrängen landest. Ich hätte es gerade den Alpinen, Wolfi Maier und seiner Mannschaft, gewünscht, dass sie zumindest mit ein, zwei Medaillen rausgehen. Auch weil in den letzten Jahren hervorragende Arbeit geleistet wurde. Aber Ausfälle wie Felix Neureuther, Stefan Luitz oder Heidi Zacher konnten einfach nicht kompensiert werden. Aber wer hätte vor Jahren für möglich gehalten, dass mit Dreßen und Sander zwei Abfahrer unter den besten 10 zu finden sind. Eisschnelllauf und Skilanglauf – das sind die Disziplinen, bei denen uns im Vorfeld bewusst war, das wird relativ schwierig, Medaillen zu erringen. Da gilt es nun mittelfristige Konzepte umzusetzen, dann kommen auch wieder bessere Zeiten.
-Wie fanden Sie die Spiele generell?
Organisatorisch und was die sportfachlichen Voraussetzungen anbelangt, hat das alles gepasst – mit ein, zwei Ausnahmen. Stichwort: gefährliche Strecken bei Snowboard, Freestyle und Skicross. Da scheint es doch Präparierungen gegeben zu haben, die fragwürdig waren. Dass die Stadien zum Teil nicht so gefüllt waren, die wir das von heimischen Weltcups kennen, war zu erwarten und in gewissem Sinne auch zu befürchten. Aber das hat sich im Verlauf der zwei Wochen zum Teil nennenswert verbessert. Dass das Thema Wind und Kälte in den ersten Tagen schwierig war, das ist nun mal so, das hat keiner in der Hand. Aber was die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit anbelangt, sind die Koreaner perfekte Gastgeber.
-Olympia, das ja schwer in der Kritik steht, stand in Pyeongchang auf dem Prüfstand. Man musste beweisen, dass es wirklich noch wert ist, Olympische Spiele auszutragen. Vor allem in Mitteleuropa gibt es da ja ernsthafte Zweifel. Wie bewerten Sie die südkoreanischen Spiele vor diesem Hintergrund?
Ich glaube, diese besonders kritische Sichtweise konzentriert sich stark auf Deutschland und auf zwei, drei weitere Länder. An mancher Stelle wird tatsächlich der Abgesang auf die Olympischen Spiele diskutiert. Diese Skepsis teile ich nicht ansatzweise. Die laufenden Spiele und die mediale Wahrnehmung derselben in all den Ländern mit neuen Rekordwerten zeigen eindrucksvoll, dass das Erlebnis Olympia, die Marke Olympische Spiele nach wie vor einen Stellenwert hat, den viele nicht hoch genug einschätzen. Das sieht man einfach daran, welchen Wert die Sportler der Olympiamedaille, dem Olympiasieg beimessen. Wer die Emotionen der Sieger, aber auch die Enttäuschungen derer erlebt hat, die es nicht geschafft haben, der kann das gut nachvollziehen. Da nehme ich besonders Sportarten, denen man vielleicht am ehesten zutrauen würde, dass sie Olympia gar nicht so wertschätzen. Man musste sich nur Snowboard-Superstar Shaun White anschauen, wie der – salopp formuliert – ausgeflippt ist nach seinem Sieg. Die Marke und das Produkt Olympia und die Wahrnehmung der Olympischen Ringe stehen nach wie vor für Einzigartigkeit und das wird noch sehr, sehr lange so bleiben.
-Russland, das unter der Fahne OAR, Olympic Athletes from Russia, auftreten musste, stand unter besonderer Beobachtung. Sie haben sich in puncto Russland vor den Spielen besonders kritisch positioniert. Wie hat sich denn die OAR in ihren Augen geschlagen?
Das Auftreten der Russen in den Stadien war in Ordnung. Es gab keinerlei andere Nachrichten. So lange man nichts anderes hört, auch hinsichtlich der Abläufe der Dopingproben, müsste alles – toi, toi, toi – gut gelaufen sein. Also kann man sagen: Das Pflichtprogramm hat die Mannschaft sauber absolviert. Was ich aber nicht vernommen habe, und da bleibe ich bei meiner kritischen Haltung, sind Zeichen der Demut oder Entschuldigung. Ich wüsste nicht, dass russische Sportler, Funktionäre oder der Chef de Mission sinngemäß gesagt hätte: Wir wollen hier in Pyeongchang beweisen, dass dieses Mal ein Team der russischen Athleten sauber oder konsequent im Sinne von Fairplay unterwegs ist.
-Und was ist mit dem Dopingfall des russischen Curlers Kruschelnizki und dem Verdacht gegen Bobfahrerin Sergejewa?
Das ist natürlich ein wenig erfreuliches Szenario, dass ausgerechnet aus diesem Team solche Fälle kommen. Woraus naturgemäß die Frage entsteht: Haben sie die Dinge jetzt im Griff? Jetzt muss man aber auch fair sein und nüchtern sagen: Keiner von uns weiß, ob er nicht irgendwo das berühmte schwarze Schaf hat. Das habe ich schon vor den Spielen gesagt – auch im Hinblick auf unsere Mannschaft. Dass dieser Dopingfall aus dem russischen Team kommt, ist unerfreulich. Im Hinblick auf die Frage, ob man die Mannschaft bei der Schlussfeier wieder vollumfänglich aufnehmen soll, wird das zu einer noch kritischeren Form der Diskussion führen als das ohnehin schon der Fall war.
„Ich würde den Russen sagen: Beweist einfach mal Fairplay“
-Wie würden Sie entscheiden?
Ich halte in diesem Fall eine positive Entscheidung für sehr fragwürdig. Wenn ich es für mich allein entscheiden müsste, dann würde ich den Russen sagen: Beweist einfach mal in den kommenden Jahren, dass ihr unter dem Aspekt des Fairplay eure Hausaufgaben macht. Beweist bis Tokio, dass eure Systeme greifen und dass die Dinge intakt sind.
-Trotz der vielen Rückschläge im zurückliegenden Jahrzehnt ist in den letzten Wochen in Deutschland wieder über eine mögliche Olympiabewerbung diskutiert worden. Was halten Sie davon?
Das bestätigt, was ich zur Bedeutung der Olympischen Spiele gesagt habe. Es zeigt sehr schön, dass der Funke des Olympischen Feuers gedanklich und emotional bis in die Heimat übergesprungen ist. Ich sehe es ausschließlich positiv, wie schnell in unserem Land eine derart positive Stimmung entstehen kann. Es gilt nun zu diskutieren, wie man aus dieser momentanen Olympiastimmung eine nachhaltig positive Gesamtstimmung generiert und für Sommer oder Winter eine echte Bewerbung auf den Weg bringt. Und da bleibe ich bei unserer aktuellen Beschlusslage: Grundsätzlich haben wir in unserer DNA, dass wir für Olympische Spiele, für die Olympische Bewegung stehen – und liebend gern auch Spiele in der Heimat organisieren würden. Wenn der Erfolg von Pyeongchang und die Begeisterung in Deutschland dazu beitragen, dass man zumindest wieder intensiv diskutiert, dann ist das ein schönes Fazit dieser Winterspiele. Wann die Zeit dann mit welchem Konzept reif ist, wird die Zukunft weisen.
Das Interview führte Armin Gibis