„Verrückt! Verrückte Welt!“ – Finale!

von Redaktion

Sensation: Deutsches Eishockey-Team schlägt Kanada 4:3 und spielt gegen Russland um Gold

VON ARMIN GIBIS

Pyeongchang – Der Erfolg war so gigantisch und ergreifend, das Spiel so aufwühlend gewesen, dass die deutschen Eishockeyspieler Mühe zu haben schienen, richtig zu begreifen, was sich da im Gangneung Hockey Centers zugetragen hatte. „Wir werden morgen aufwachen und uns fragen, was passiert ist“, sagte der Münchner Stürmer Frank Mauer. Auch Bundestrainer Marco Sturm stand vor diesem 4:3 (1:0, 3:1, 0:2)-Sieg über den hohen Favoriten Kanada, als sei seiner Mannschaft ein rätselhafter und zugleich wunderschöner Zaubertrick gelungen: „Verrückt! Verrückte Welt!“, sagte er, „es ist unglaublich, was wir geschafft haben!“

Erstmals also ist ein deutsches Eishockey-Team ins Finale eines olympischen Turniers eingezogen. Silber haben Sturms Mannen damit schon vor dem Duell am Sonntag mit Russland (5.10 Uhr MEZ/ZDF und Eurosport) sicher. Dominik Kahun, der Münchner Angreifer, meinte: „Diese Medaille werde ich nicht mehr ausziehen.“ Marcel Noebels machte gar den Eindruck, als sei er auch eine halbe Stunde nach der Schlusssirene noch wie in Trance: „Ich glaube, das passiert nie mehr. Etwas Besseres gibt es gar nicht“, sagte der Berliner mit stockender Stimme, „dieses Spiel nehme ich mit ins Grab.“

Tatsächlich war es eine Partie gewesen, die brodelte wie ein Vulkan. Deutsche Leidenschaft traf auf immer größer werdende kanadische Wut. „Das war ein Wahnsinnsteamgeist, den wir geliefert haben. Die Jungs haben wieder alles gegeben, alles geblockt, Pucks gegessen“, erklärte der starke Keeper Danny aus den Birken.

Das Erstaunliche war dabei, dass die deutsche Kampfgemeinschaft sich immer wieder befreien konnte und die Kanadier mit feinen Offensivzügen überrumpelte. Erstmals ins Wackeln geriet Kanada, als bei 5:3-Überzahl Brooks Macek (15.) eine Münchner Co-Produktion mit Kahun zum 1:0 abschloss. Mathias Plachta (24.) erhöhte auf 2:0, Maurer (26.) legte mit einem Traumtor nach, als er durch die eigenen Beine vollstreckte. 3:0 gegen Kanada – allein schon das Zwischenergebnis war eine Sensation.

Sturm vollbrachte unterdessen ein kleines Wunder an Selbstbeherrschung: Die Treffer registrierte er scheinbar völlig unberührt und zuckte dabei nicht mit der Wimper. „Ich wusste, das es noch ein hartes Stück Arbeit werden würde“, sagte er später.

Vor allem im Mitteldrittelentwickelte sich die Partie zum turbulenten Schlagabtausch. Nach Gilbert Brules Anschlusstreffer (29.) schlug Patrick Hager (33.) erneut in Überzahl zurück. „Es war unfassbar, dass es 4:1 stand“, sagte Kahun. Brule musste kurz darauf nach einem brutalen Check gegen David Wolf vorzeitig in die Kabine. Doch das Spiel war noch nicht gewonnen. Kanada verkürzte auf 3:4 (Mat Robinson/42. und Derek Roy/50.), Kahun verschoss dazwischen einen Penalty. Er war selbst gefoult worden. „Ich hätte ihn nicht schießen sollen“, sagte der 22-Jährige: „Ich bin zuvor mit dem Kopf gegen die Bande geknallt.“ Mit einem gezielten Torschuss hätte er sich eine Reihe banger Momente ersparen können. „Das war das längste Drittel meines Lebens. Ich konnte die letzten vier Minuten gar nicht mehr auf die Uhr schauen“, erzählte Kahun.

Auf der Tribüne zitterten Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes DOSB) und zahlreiche deutsche Olympiasportler mit. Die Schlussphase fasste der Allgäuer so zusammen: „Erst Schnappatmung und dann Tränen in den Augen.“

Obwohl nur ein Tag Zeit zur Erholung ist bis zum Endspiel gegen Russland, gestattete Bundestrainer Sturm eine kleine Sause: „Die Spieler sollen das jetzt genießen – ich werde ihnen eine Runde Bier spendieren.“

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