Pyeongchang – Großereignisse hatten es mit Selina Jörg bisher nicht unbedingt gut gemeint. Vierte ist die Snowboarderin bei den Winterspielen 2010 in Vancouver geworden, Vierte bei der WM 2015 in Bad Gastein, damals fehlten ihr nur 4/100 Sekunden zum Podium. Nun, mit 30 Jahren, sah sie ihre letzte Chance, es doch noch zu packen, doch noch nach der großen Medaille zu greifen. Als sie beim Parallel-Riesenslalom im Phoenix Park am Samstag olympisches Silber gewann, also endlich ihre Karriere gekrönt hatte, sprudelte die Erleichterung nur so aus ihr heraus: „Das Silber ist für mich wie Gold“, sagte die glückselige Sportlerin vom SC Sonthofen, „es fällt mir ein Riesendruck von den Schultern, weil ich endlich den Fluch der vierten Plätze besiegt habe. Es ist so eine Genugtuung, dass es endlich funktioniert hat.“
Was Selina Jörg („ich bin in der Form meines Lebens“) im Herbst ihrer Karriere gelang, schaffte Ramona Hofmeister bereits mit 22 Jahren. Die Bischofswiesenerin fuhr zu Bronze. Und das nicht ganz überraschend. „Das Ziel war eine Medaille – und ich habe eine“, sagte sie. Hofmeister war schon im Halbfinale auf Ester Ledecka, Star der Snowboard-Szene, getroffen. Die Tschechin hatte bei diesen Spielen bereits für eine Sensation gesorgt, als sie Gold im alpinen Super G errang und den ganzen Spezialistinnen davonraste. Hofmeister sagte vor dem Rennen: „Noch eine Goldmedaille überlassen wir ihr nicht.“
Diese Kampfansage konnte die Oberbayerin nicht ganz verwirklichen. Immerhin war sie die Einzige im Phoenix Snow Park von Bokwang, die im Duell mit der Seriensiegerin kurz vor ihr lag. Doch dann machte sie einen kleinen Fehler, „der Speed war weg“, erzählte Hofmeister, die als einzige Snowboarderin in diesem Winter Ledecka hatte schlagen können. Dass sie auch noch stürzte, war schließlich unerheblich: „Nicht so tragisch“, meinte sie, „die Medaille habe ich ja“. Und was Ledecka betrifft, meinte sie: „Wir haben es ihr nicht leicht gemacht.“
Allerdings war an der Dominanz der 22-jährigen Tschechin, die als erste Frau bei Winterspielen in zwei verschiedenen Disziplinen Olympiasiegerin wurde und damit vielleicht die Großtat dieser Spiele vollbrachte, nicht wirklich zu rütteln. „Sie hat schon in der Qualifikation gezeigt, dass sie sauschnell ist“, sagte Selina Jörg, „Im Finale wollte ich es Ester so schwer wie möglich machen, ich habe alles versucht, sie abzufangen. Aber sie war wieder eine Nummer für sich.“
Zur Siegerehrung erschien die Doppel-Olympiasiegerin – wie schon bei ihrem Super-G-Triumph – mit Skibrille, die ihr Gesicht wie eine Maske verdeckte. Wieder war die Begründung das fehlende Make-up. Ungeschminkt wollte sie ihre Augen nicht zeigen. „Daran müssen Sie sich gewöhnen“, sagte sie zu einem Journalisten, der sich nach dem Grund ihre ungewöhnlichen Outfits erkundigte. Auf ihre weiteren Ziele angesprochen, erklärte Ledecka: „Ich mache immer noch Fehler auf Skiern, und auch mit dem Snowboard. Ich will mich weiter verbessern.“
Dabei ist ihre Überlegenheit schon jetzt so groß, dass sich Ledecka im Finale eine vorzeitigen Jubelgeste leisten konnte und im Ziel dennoch 0,46 Sekunden Vorsprung hatte. Die Freude der unterlegenen Selina Jörg konnte das nicht trüben. Für die Allgäuerin zählte nur, dass sie mit sich „mehr als zufrieden ist“. Eingestimmt auf den größten Erfolg ihrer Karriere sah sie sich schon am Vorabend von ihrer Teamgefährtin Amelie Kober (30), die selbst schon Silber (2006) und Bronze (2014) bei Olympia gewonnen hat, dieses Mal aber wegen Verletzungsproblemen die Qualifikation verpasste. „In einer SMS hat mir Amelie geschrieben, wie sehr sie mir die Daumen drückt. Ich bin wirklich mit Tränen in den Augen im Bett gelegen. Und dachte mir: Ich muss es jetzt endlich schaffen.“
Ein Vorsatz, der offenbar die Tatenfreude zusätzlich stimulierte. „Ich habe mich wirklich gefreut, dass der Wecker um halb sechs geklingelt hat.“ In ihrer Gefühlswelt ging es allerdings zunächst rauf und runter: „Es war ein wahnsinniger Druck, den ich mir selber mache. Es war ein komischer Mix zwischen übelster Aufregung und kompletter Entspannung.“ Eine Art Lampenfieber wohl, das großen Leistungen oft vorausgeht. „Ich habe es irgendwie gefühlt, dass es klappt.“
Verband fordert mehr Fördergelder
Hanns-Michael Hölz, Präsident von Snowboard Germany, nutzte die Gunst der Stunde, um einen politischen Vorstoß zu wagen. „Jetzt müssen die, die uns finanziell unterstützen, endlich verstehen, dass es Snowboard nicht nur verdient, sondern auch die richtigen Konzepte hat, um im Freestyle, im Race und im Snowboardcross die Unterstützung zu kriegen, auf die wir seit Jahren warten“, sagte er. Die Medaillen von Selina Jörg und Ramona Hofmeister seien der Beweis dafür, „dass wir es auch mit relativ wenig Geld können, aus uns selbst heraus.“ Bisher werde Snowboard mit einer Million Euro pro Jahr gefördert, nötig wären aber „mindestens mehr als zwei Millionen“.
Selina Jörg, die im Phoenix Park mit alten, selbstgekauften Schuhen antrat, unterstützte die Forderungen ihres Chefs. Geld verdienen lasse sich in ihrem Sport nicht, sagte sie: „Für das, was wir kriegen, würden sich Fußballer nicht mal die Schuhe binden.“