Der HSV am Abgrund

Kostic – wie einst Kioyo

von Redaktion

Verschossene Elfmeter tun generell weh, und trotzdem gibt welche, die mehr schmerzen als andere. Meist finden sie in Finals statt, oft verfolgen sie den betroffenen Unglücksraben bis ans Karriereende. Im besten Fall – siehe Arjen Robben – kann man sie mit Glanztaten in der Folge vergessen machen. Im schlechtesten Fall – siehe Robert Baggio – bleibt eine Wunde zurück, die sich niemals schließt.

Nerven, Platz, Torhüter, Kulisse, es gibt so viele Aspekte, die Einfluss nehmen auf diesen Bruchteil einer Sekunde, in dem man den Ball ja eigentlich „nur“ richtig treffen muss. Da geht es jedem Schützen gleich. In München erinnert man sich noch gut an Bastian Schweinsteiger und den Pfosten im „Finale dahoam“, aber auch an Francis Kioyo und den wohl schicksalhaftesten der zahlreichen schicksalhaften Tage, die der TSV 1860 in den vergangenen 14 Jahren hinter sich hat bringen müssen. Vier Minuten war der Stürmer damals, im bisher vorletzten Bundesliga-Spiel der Löwen, auf dem Platz. Die reichten, um in die unrühmliche Geschichte einzugehen. Kioyo verschoss vom Punkt, Sechzig spielte 1:1 gegen Hertha, der Abstieg war besiegelt.

Es ist nicht unbedingt ein Kompliment im deutschen Fußball, mit dem abgestürzten Münchner Altmeister verglichen zu werden. Aber der HSV hat sich dieses Standing selbst hart erarbeitet. Tradition zählt wenig, wenn ein Verein über Jahrzehnte ein massives Führungsproblem hat. Falsche Entscheidungen, falsches Personal, falsche Machthaber, keine Kontinuität. Und am Ende: Tritt ein Elfmeterschütze an, dem die Nerven versagen.

Die gesamte Last der mehr als bedrohlichen – ja, eigentlich aussichtslosen – Situation des Bundesliga-Dinos auf den Schultern von Filip Kostic abzuladen, wäre nicht fair. Wer aber im Schicksalsspiel (wie jenem 0:0 gegen Mainz vom Samstag) die sichere Torchance versemmelt, bleibt zurück als Gesicht des Gescheiterten. Kioyo taucht heute noch in diversen Chroniken auf, die den Niedergang des TSV 1860 in die Viertklassigkeit dokumentieren. Erst zuletzt zu lesen: „Das Kioyo-Protokoll.“

Für Kostic gibt es nun einige Szenarien. Das wahrscheinlichste Kostic-Protokoll: Sein Fehlschuss besiegelt den ersten Abstieg des HSV. Dann kann der Serbe entweder Glück haben (der HSV macht es wie Stuttgart und steigt wieder auf) – oder aber Pech (siehe 1860). Aktuell – mit Blick auf die Vereinsführung sowie die Entwicklung der vergangenen Jahre – ist eher Letzteres anzunehmen. Und an ein Kostic-Protokoll mit echten Happy End glaubt selbst bei den Allzeit-Optimisten da oben im Norden keiner mehr.

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