Der Stoff, aus dem die Filme sind

von Redaktion

Bei der Oscar-Verleihung 2018 ging es um drei Lebensgeschichten aus dem Sport – zwei spielen auf der dunklen Seite

Von Günter Klein

München – Und dann stand da oben auf der Bühne einer, der mit Film nichts zu tun hat, der kein Schauspieler ist, kein Regisseur, kein Produzent, kein Komponist, kein Beleuchter. Den Oscar in der Kategorie „Bester Animations-Kurzfilm“ gewann offiziell auch ein anderer, nämlich der, der ihn gezeichnet hatte: Mike Keane, ein Mann aus der Disney-Welt. Aber natürlich: Kobe Bryant, der Basketballstar, ging mit hinauf auf die Bühne. Denn ohne ihn würde es „Dear Basketball“ nicht geben. Wenn man es so sehen will: Er hat das Drehbuch geschrieben.

Mit seiner Karriere, die im Basketball die wohl größte nach der von Michael Jordan ist. Und mit einem Gedicht, das er vor zweieinhalb Jahren anlässlich der Beendigung seiner Karriere verfasst und eingesprochen hat. Schon damals gab es einen Kurzfilm „Dear Basketball“, aber mit realen Bildern aus den Spielen von Kobe Bryant. Es war ein Best of, ein schwülstiger Videoclip, der mit dem selbstbeweihräuchernden Satz endete: „Helden kommen und gehen, Legenden leben ewig.“ Die Protzerei übertönte die besseren Aussagen wie „Ich kann dich nicht länger so obsessiv lieben. Diese Saison ist alles, was ich noch geben kann“ – die Erkenntnis, die vor dem Rücktritt stand.

Aus dem fünfeinhalbminütigen Videoclip ist nun ein Zeichentrickfilm geworden. Bescheidener und rührender als die Vorlage, weil nun auch Kobe, wie er als Junge war, hineinanimiert wird. Nun ist es eine runde Geschichte über ein Leben, erzählt in vier Minuten (der Rest ist Abspann, der den enormen Produktionsaufwand erahnen lässt).

Die Hollywood-Ehrung für Bryant/Keane war nicht die einzige, die den Bereich Sport betraf. Es gab zwei weitere „Sport-Oscars“. Als bester Dokumentarfilm wurde „Ikarus“ von Bryan Fogel ausgezeichnet, in dem es zwei Stunden lang um Grigori Rodtschenkow geht, der der Welt von den Dopingpraktiken in seiner Heimat Russland erzählt hat; ein Nebenrollen-Oscar ging an „I, Tonya“, einen Spielfilm, der eine unglaubliche Geschichte aus dem Glamour-Sport Eiskunstlauf aufgreift.

Sport liefert den Stoff, aus dem die Filme sind. Das war schon immer so. Freaks führen Allzeit-Bestenlisten über die großen Dramen, die von sportlichen Geschehnissen und ihren Protagonisten inspiriert sind. Boxen ist sehr geeignet: „Raging Bull“ mit Robert de Niro, „Rocky“ mit Sylvester Stallone (der erste Teil bekam einen Oscar), „Million Dollar Baby“ (eines der ganz großen Clint-Eastwood-Werke). Die Filmindustrie nahm sich auch schon der Rugby-Weltmeisterschaft Südafrikas an („Invictus“) oder der Kunst der Kaderplanung im Baseball („Moneyball“ mit Brad Pitt) sowie der Gehirnerschütterungs-Problematik im American Football („Erschütternde Wahrheit“).

Sieg und Erfolg sind Filmdrogen, doch zwei der drei 2018er-Sport-Oscar-Filme beleuchten die dunkle Seite des Sports. „Ikarus“ ist ein gnadenloser Aufklärungsfilm. Vordergründig über einen Selbstversuch des Regisseurs Bryan Fogel , der an einem Amateurradrennen teilnehmen will und sich dopingtechnisch beraten lässt. Von Grigori Rodtschenkow, der vom Leiter des Moskauer Doping-Kontrolllabors zum Kronzeugen geworden ist, der über von oben verordnete Dopingprogramme und die Vertuschung positiver Proben Bescheid weiß.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, Rodtschenkow hält sich in den USA versteckt, er befürchtet Anschläge auf sein Leben. Der Kontakt für die Medien läuft über eine New Yorker Anwaltskanzlei.

Ungewöhnlich an „Ikarus“ ist, dass man den Film weder im Kino sehen noch auf DVD kaufen kann. Nicht eines der Hollywood-Studios hat ihn produziert, sondern der Streamingdienst „Netflix“. Nach dem fiktionalen Hit „House of Cards“ das Doku-Vorzeigeprojekt des neuen großen Players. Und sein Nachweis dafür: Qualität ist erst mal wichtiger als Quote.

Ende März wird in Deutschland „I, Tonya“ in die Kinos kommen. Über Tonya Harding hat man die vergangenen Jahre immer wieder mal was Delikates zu lesen bekommen. Von Abstürzen, gescheiterten Beziehungen, finanziellen Pleiten, dazu machten Bilder die Runde, auf der man ihr die Sportlerinnen-Vergangenheit nicht mehr ansieht. Sie war eine Weltklasse-Eiskunstläuferin, sie glaubte, sie könne 1994 Olympia-Gold gewinnen. Doch es gab eine Rivalin, die andere Amerikanerin: Nancy Kerrigan, Typ Darling, schön, nobel. Harding war die klassiche Gegenspielerin: ordinär, eruptiv, das Biest. Ihr Umfeld: dementsprechend. Hardings Ex-Mann lauerte Kerrigan mit einer Eisenstange auf, versuchte, ihr die Kniescheibe zu zertrümmern.

Kerrigan konnte dennoch starten in Lillehammer, gewann Silber, Harding wurde Achte. Überhaupt: Es waren die größten Eiskunstlauf-Wettbewerbe aller Zeiten, Olympia öffnete sich für Profis, die Stars von früher kehrten zurück, die Bolero-Eistänzer von 1984, Torvill-Dean, und die „Carmen“ von 1988, Katarina Witt, nun ein Gesicht des Kapitalismus.

Bei den Frauen ging der Olympiasieg an Oksana Bajul. Ukrainerin, 16, eine Vollwaise, die bei ihrer Trainerin lebte. Sie tanzte den Schwarzen Schwan. Sie weinte. Filmstoff pur. Der Streifen erschien noch im gleichen Jahr.

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