München – Zwetschgendatschi von der Oma, ein sonniger oberbayerischer Garten, Vögelgezwitscher. Fragt man den Chef von Snowboard Germany nach Stefan Baumeister, sind das die ersten drei Bilder, die ihm in den Kopf schießen; abgespeichert hat sie Stefan Knirsch, als er zu Beginn der Olympia-Saison in Sachen Teammotivation unterwegs war, Fahrer für Fahrer, Dorf für Dorf – und im Rahmen dieser Tournee unter anderem am gedeckten Terrassentisch der Familie Baumeister in Feldkirchen-Westerham gelandet ist.
Knirschs Gedanke, als er den Snowboarder in seiner häuslichen Umgebung besucht hatte: Diese Ruhe, diese Idylle – wahrscheinlich ist dieses Fluidum genau das, woraus der hochtalentierte Slalomfahrer seine Stärke bezieht. Soweit die Theorie. In der Praxis jedoch entwickelte sich alles ein bisschen anders. Aber der Reihe nach.
Europacup-Starter mit 14, Weltcupdebüt mit 16, mit 19 Gold und Bronze bei der Junioren-WM. Für den Snowboardverband Deutschland (SVD), der schon immer etwas frauenlastig war, schien der junge Baumeister ein Geschenk zu sein. Ein kerniger Bursche, der rasant auf dem Brett unterwegs ist, der eine gute Technik hat, den scheinbar nichts erschüttern kann. Kurzum: Es lief. Lange sehr gut. Bis zu diesem Tag, der eigentlich ein Jubeltag war.
Wie es zum Karriereknick kam, kann Baumeister ziemlich genau beschreiben: „Das war ausgerechnet nach meinem Weltcupsieg in Winterberg.“ März 2017. Baumeister erstmals ganz oben auf dem Podium. Beim Finale dahoam, das eigentlich schon positiv in Richtung Olympiasaison wirken sollte. „Ich dachte: So, da geht jetzt mehr“, berichtet er. Und anscheinend war genau das der Fehler.
Anstatt die Glücksgefühle nach dem ersten Sieg über den Sommer zu konservieren, schlichen sich leise Zweifel ein. „Das Jahr hat sehr schwer angefangen für mich. Schon die ersten Resultate waren nicht gut.“ Die Quali geriet in Gefahr. „Ich hab mir darüber einen zu großen Kopf gemacht, hab mich nicht auf das Wesentliche konzentriert – und irgendwann ging eine Spirale nach unten los.“ Erst jetzt, am Ende des olympischen Winters, findet Baumeister zurück zu alter Form. Platz 6 in Pyeongchang als bester männlicher SVD-Starter. Weltcupsieg am vergangenen Samstag in der Türkei. Baumeister sagt: „Das kam total überraschend – daher freut mich’s umso mehr.“
Geholfen hat Baumeister, dass er rechtzeitig angefangen hatte, an allen Stellschrauben zu drehen, die sich finden ließen: „Ich hab Material getestet und gewechselt – schon um das Gefühl zu haben, was anderes unter den Füßen zu haben.“ Auch am anderen Ende des Körpers setzte er an: „Mit einem Mentalcoach habe ich mich vor Olympia zweimal hingehockt. Das hat vielleicht auch was bewirkt.“ Und nicht zuletzt konnte Baumeister auf den Zuspruch von Verbandschef Knirsch bauen. Dessen gut gemeinter Ratschlag: „Der Stefan soll einfach wieder er selbst sein.“ An den heimischen Garten denken, den Kuchen, die Oma: „Dann findet er sicher zu alter Lockerheit zurück.“
So kam es. Bei Olympia war Baumeister fast schon wieder der Alte – obwohl er auch da auf eine ernsthafte Probe gestellt wurde: „Am Renntag hab ich an die vielen Leute gedacht, die mir zuschauen – da hab ich mir noch mal zusätzlichen Druck gemacht.“ Diesmal jedoch konnte er ihn in positive Energie umwandeln. Sein Fazit nach dem K.o. im Viertelfinale: „Zwei Stunden war ich recht unglücklich, weil die Medaillenchance wieder für vier Jahre weg war. Inzwischen kann ich mich aber über Platz 6 freuen.“ Dafür gewann er in der Woche drauf den Weltcup in Kayseri. Weicher Schnee, Plusgrade, dazu ein fieser Sturm. „Irgendwie liegt es mir, wenn die Bedingungen widrig sind“, sagt er: „Oder ich profitiere davon, dass sie den anderen nicht liegen. Wie auch immer.“
In jedem Fall dürften ihm die Erfahrungen dieses Winters helfen, mit künftigen Drucksituationen zurechtzukommen. Zum Beispiel, wenn nach dieser Saison Patrick Bussler, 34, und Alexander Bergmann, 30, abtreten – und Baumeister als dann 25-Jähriger zum Teamsenior aufsteigt. „So richtig kann ich mir noch nicht vorstellen, wie das dann wird“, sagt er. Im nächsten Atemzug fügt er hinzu: „Eine Slalom-Medaille bei der WM 2019 bleibt aber mein Ziel – und bis zu Olympia 2022 will ich auf jeden Fall weitermachen.“
Für sich selbst. Und auch für Oma Maria. Die ist – mit 80 Jahren – sein größter Fan: „Sie interessiert sich sehr für meinen Sport.“ Bestimmt wird sie sich nicht lumpen lassen, wenn ihr Stefan doch noch eines Tages eine Medaille auf den Terrassentisch legt. Baumeister weiß schon, was da als Belohnung in Frage käme: „Ihr Zwetschgendatschi ist wirklich richtig gut.“