„Dann habe ich den Wegweiser geküsst…“

von Redaktion

Die sehbehinderte Clara Klug greift bei den Paralympics nach Edelmetall – Pyeongchang ist für sie aber ein Zwischenziel

VON Patrick Reichelt

München – In den Tagen vor dem Start hat der Wecker Clara Klug früh aus dem Bett gerissen. Man will schließlich auf Nummer sicher gehen. Und so hat die Biathlon-Hoffnung des deutschen Paralympics-Teams ihre innere Uhr lieber schon einmal dem südkoreanischen Rhythmus angepasst. Das muss so sein. „Weil ich mich mit der Zeitverschiebung ohnehin sehr schwertue.“, sagt Klug.

Die sehbehinderte Münchnerin hat bei den, am Freitag beginnenden, Paralympics schließlich Ziele. Eine Medaille würde die 24-Jährige schon ganz gerne holen. Was nahe liegt, bei einer Frau, die sich in den vergangenen Wintern zunehmend mehr unter den Besten der Welt festgesetzt hat. Den vergangenen Winter beendete sie als Nummer zwei des Weltcups.

Und dass das so ist, hat bei der Frau, die in München Computerlinguistik studiert, ziemlich viel mit Martin Härtl zu tun. Dem 43-Jährigen war Klug einst im Leichtathletik-Training beim PSV München aufgefallen. „Er hat mich gefragt, ob ich mich nicht einmal auf Skiern versuchen will“, sagte Klug. Wollte sie, sie schlug sich bestens – es war die Geburtsstunde eines engen Bündnisses, das nun in Asien mit Edelmetall dekoriert werden soll.

Seit Geburt hat Clara Klug eine genetisch bedingte, fortschreitende Augenerkrankung. Heute ist sie praktisch blind, lediglich auf zwei winzigen Flecken ihres Gesichtsfeldes nimmt sie noch „Lichtreflexe und starke Farben“ wahr. Die Aufgabe am Schießstand erledigt sie dank der speziellen Konstruktion der Gewehre, die akustisch signalisieren, wenn ein Athlet das Schwarze anvisiert.

Sie aber auch unbeschadet über die Spur zu dirigieren, das ist Härtls Job. Der Zollbeamte aus Weilheim läuft als Begleiter voraus, über ein Mikrofon am Hals gibt er kurze Anweisungen. Richtungsänderungen gibt er mithilfe von Uhrzeiten an. Das kann auch in bestens eingespielten Gespannen einmal schief gehen. Als Härtl einmal „rechts, neun Uhr“ sagte, da „habe ich den Wegweiser nach Kaltenbrunn geküsst.“

Doch auch solche Pannen können das tiefe Vertrauensverhältnis nicht trüben, das zwischen beiden gewachsen ist. Welches Gewicht die Verbindung hat, hat Clara Klug 2016 zu spüren bekommen- Bei einem Trainingsunfall hatte sich Härtl schwer verletzt, zeitweilig war fraglich, ob er überhaupt noch einmal auf Skier zurückkehren könnte. Es waren die Momente, in denen Klug deutlich merkte: Härtl ist nicht zu ersetzen.

Aber er kehrte ja auch zurück. Und er tat es mit Ambitionen. Der Familienvater hatte seinem Schützling von Beginn an nahe gebracht: Wenn wir das machen, dann machen wir es richtig, mit der Perspektive Pyeongchang. Oder wahrscheinlich sogar darüber hinaus. Die Spiele in Korea sollen für Klug und ihren Begleiter so etwas wie der Einstieg auf ganz großer Bühne sein. Sie will kennenlernen, wie es ist, wenn die paralympischen Athleten einmal für zwei Wochen im Rampenlicht stehen. Vier Jahre später in Peking, mit dann 28 Jahren, will sie auf dem Gipfel der sportlichen Leistungsfähigkeit sein.

Rund zwanzig Stunden Training hat sie dafür wöchentlich auf dem Plan. Das ist das Programm eines Profis. Klug kann es sich leisten, weil sie derzeit eine Vielzahl an Unterstützern hinter sich weiß. Die Deutsche Sporthilfe etwa hat Klug in ihr TopTeam einsortiert – es ist die höchste Förderstufe, die die Stiftung zu bieten hat.

Sie würde gerne dafür zurückzahlen. Vielleicht tatsächlich mit Edelmetall in Pyeongchang. „Podestchancen“, da ist sich die Münchnerin sicher, „habe ich.“ Der Blick zurück kann da sicherlich ganz hilfreich sein. Im Winter 2016/17 trat sie schon einmal auf den paralympischen Strecken an – und holte im Sprint gleich einmal den ersten Weltcupsieg ihrer Karriere.

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