Auf den letzten Drücker nach Korea

von Redaktion

Der nachnominierten Anna-Maria Rieder (18) wird eine paralympische Medaille zugetraut – Sie selbst will „Spaß haben“

von christopher meltzer

München – Am 2. Februar hat das Handy von Anna-Maria Rieder oft gebimmelt. Sie war gerade in der Schule, als sie schließlich auch eine Whatsapp-Nachricht von Justus Wolf erhielt, dem Alpin-Trainer des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Wie ihre Freunde verschickte an diesem Tag auch der Bundestrainer Geburtstagsglückwünsche an Rieder. Doch Wolfs Nachricht war damit nicht beendet. Er fügte ihr noch ein paar Sätze hinzu, die sie besonders machte unter all den „Happy birthday“-Zuschriften. Wolf teilte Rieder nämlich mit, dass sie nun doch mitreisen dürfe nach Pyeongchang zu den Paralympics – als jüngste Athletin im deutschen Aufgebot.

Nun war der Bundestrainer stets davon überzeugt gewesen, dass die 18 Jahre alte Paraskifahrerin aus Oberammergau schon bereit ist für die größte Bühne ihres Sports. Als der DBS Ende Januar 19 Starter für Pyeongchang nominierte, fehlte Rieders Name aber. Obwohl auch sie die Norm erfüllt hatte, hatten andere den Vorzug erhalten. Eine Entscheidung, die sie akzeptierte. „Man muss die mitnehmen, die die meisten Rennen fahren“, sagte Rieder, die sich auf die zwei technischen Disziplinen spezialisiert hat, den Slalom und den Riesenslalom.

Dieser Logik unterwarfen sich auch die deutschen Trainer. Weil sie Rieders jüngste Weltcup-Leistungen (zwei zweite Plätze im Slalom) aber nicht ignorieren wollten, beantragten sie einen zusätzlichen Startplatz, den das Internationale Paralympische Komitee am 2. Februar genehmigte. Wolf atmete auf. „Das ist eine gute Entscheidung, zumal Anna-Maria nicht ohne Medaillenchancen nach Pyeongchang reist.“

Dass Anna-Maria Rieder mal die Aussicht auf Medaillen haben wird, war im Februar 2000 undenkbar. Damals waren sich die Ärzte nicht einmal sicher, ob sie überleben wird. 25 Wochen zu früh war sie auf die Welt gekommen, mit 722 Gramm. Drei Päckchen Butter wiegen mehr.

Rieder überlebte – und stand nur zweieinhalb Jahre später das erste Mal auf Skiern. Ihre Eltern, eine Skilehrerin und ein Trainingswissenschaftler, führten sie trotz der halbseitigen Lähmung der linken Seite, die die Frühgeburt verursacht hatte, an den Spitzensport heran. „Wer sie nicht gut kennt, dem fällt gar nicht auf, dass sie diese Schwachstelle hat“, sagte ihre Mutter mal.

Auf der Piste fühlt sich Rieder wohl. Im Skiprogramm des SC Garmisch entwickelte sie sich zu einer ambitionierten Parafahrerin, im Dezember 2016 durfte sie erstmals im Weltcup angreifen. Dort startet sie allerdings für den RSV Murnau, der SC Garmisch unterhält nämlich keine Behindertenabteilung.

In Südkorea wird Rieder nun sogar eine paralympische Medaille zugetraut. Vor einem Jahr hat sie bei der bei WM im italienischen Travisio Slalom-Bronze gewonnen. Ein Erfolg, der die vorsichtigen Erwartungen befeuert hat. Rieder aber sagt: „Ich will einfach Spaß haben und schnell Skifahren.“

Nun muss sie sich bei ihren ersten Paralympics, die heute eröffnet werden, mit Variablen auseinandersetzen, die sie nicht einzuschätzen vermag. Manche Sportler berichten, dass die vielen Ablenkungen den Wettkampfrhythmus stören. Auch die Alpin-Strecke in Pyeongchang, wo am 15. März der Slalom und am 18. März der Riesenslalom abgehalten werden, kennt Rieder nur von Bildern. „Ein paar Trainings“, glaubt sie, „und dann geht das schon.“

Rieder weiß aber, dass diese Spiele vermutlich nicht ihre letzten bleiben werden. Noch haben andere einen Anspruch auf das Podest, etwa die Französin Marie Bochet oder Andrea Rothfuss aus Mitteltal. Sie will daher einfach auch Eindrücke sammeln, ein kleines Abenteuer erleben.

Solche Geschichten interessieren auch diejenigen, die in Deutschland mitfiebern. Ihre Großeltern wollen genau wissen, was sie wann unternehme. Und auch ihre Mitschüler, das Abitur peilt Rieder in zwei Jahren an, haben sich schon erkundigt, wann sie denn im Fernsehen zu sehen sei. Anna-Maria Rieder hat versprochen, sie auf dem Laufenden zu halten: via Whatsapp, versteht sich.

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