Als junger Mensch macht man manchmal Sachen, die man in dem Moment ganz toll findet. Doch kaum sind ein paar Jahrzehnte vergangen, ändert sich der Blickwinkel auch schon. Heute würde sich Jupp Heynckes nicht mehr auf dem Rathausbalkon stellen und den Fans versprechen: „Nächstes Jahr holen wir den Europapokal!“ Aber im jugendlichen Überschwang macht man sowas halt, auch auf die (letztlich berechtigte) Gefahr hin, dass man die turmhohen Erwartungen am Ende nicht erfüllen kann. Heynckes war damals, im Mai 1990, erst 45.
Thomas Tuchel ist sogar noch ein Jahr jünger, hat aber ebenfalls schon ein bewegtes Trainerleben vorzuweisen. Wer es schafft, Pep Guardiola unter Einsatz von Pfeffer- und Salzstreuern taktisch Paroli zu bieten, erfüllt die grundlegenden Ansprüche an einen Top-Top-Trainer. Selbst beim FC Bayern.
Der Name Tuchel geistert seit Monaten durch die Säbener Straße. Dass er nun wieder lauter ausgesprochen wird, liegt an dem Mann, dessen Nachfolge er im Sommer antreten könnte. Heynckes’ Plädoyer für Tuchel ist auch deshalb so bemerkenswert, weil er ein gewichtiges Argument vorweisen kann. Die eigene Biographie.
Heute erinnert man sich kaum noch daran, dass Heynckes’ Beziehung zu Spielern manchmal ähnlich kompliziert war wie jene, die Tuchel zu einigen Dortmundern pflegte. Mit dem Abstand von zweieinhalb Jahrzehnten würde er die Frankfurter Yeboah, Gaudino und Okocha auch nicht mehr suspendieren, bloß weil sie auf seine strenge Art mit Widerstand reagierten. Das mit der rigorosen Strenge würde er einfach sein lassen. Und seine kapriziösen Stars würden ihm begeistert folgen.
Der FC Bayern erlebt gerade, wie schwierig es auf diesem Niveau ist, einen Fachmann zu finden, dem man seine Mannschaft bedenkenlos anvertrauen kann. Gute Trainer gibt es einige. Aber gut ist in München schon lange nicht mehr gut genug.
Heynckes, der Plan A der Bayern, scheint ihnen nun einen Plan B aufzuzeigen, wie sie ihn nie schmieden wollten, dessen Notwendigkeit sie insgeheim aber immer erahnten. Mit leichter Hand räumt der Noch-Trainer jene Bedenken ab, einem Kandidaten Tuchel könne es an sozialer Kompetenz mangeln. Dass er für die Verwandlung vom Kommandeur zum Profiversteher selber einige Jährchen brauchte, unterschlägt er charmant.
Unstrittig ist zumindest, dass ein Tuchel die Sehnsucht nach anspruchsvollem Fußball bedienen würde. Bei allen anderen Fragen könnte ihm Jupp Heynckes sicher behilflich sein und die speziellen Münchner Verhältnisse erklären. Ganz ungezwungen, ohne Pfeffer und Salz.