Das Phänomen Löw

von Redaktion

Heute gegen Brasilien kann der Bundestrainer eine alte Jupp-Derwall-Marke erreichen

Von Günter Klein

Berlin – Joachim Löw hat in die Daten zu Deutschland – Spanien geschaut. Vor allem dieser eine Wert begeisterte ihn. „Beide Teams hatten eine unglaublich hohe und erfolgreiche Passquote, an die 90 Prozent.“ Somit sicherte die Statistik seinen Eindruck und sein Resümee zum 1:1 vom Freitagabend in Düsseldorf ab: „Es war ein Test auf hohem Niveau.“

Gegen Brasilien soll es heute (20.45 Uhr/ZDF) wieder so werden. Auch wenn die deutsche Mannschaft nicht so aufgestellt sein wird wie gegen Spanien. Thomas Müller und Mesut Özil hat Löw heimgeschickt, er ist der Meinung, sie spielen in ihren Klubs schon genug; man sollte mit ihrer Energie sparsam umgehen. Die brasilianische Presse ist darob ein bisschen beleidigt, das hat sie am Montag in Berlin zu erkennen gegeben: Für die eigene Seite sei das undenkbar, in einem Spiel zweier solcher großen Fußballnationen einfach zwei der Besten wegzulassen. Auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel ist.

Aber will man Joachim Löw deswegen ernsthaft angreifen? In seinem zwölften Amtsjahr steht er über den Dingen und über allen anderen Kollegen in den Nationalmannschaften. Es gab unter ihm noch kein Turnier, in dem die Deutschen vor dem Halbfinale rausgeflogen wären. Die letzte Niederlage ereignete sich in einer Partie um den Einzug ins Endspiel, 2016 in Marseille bei der EM gegen Frankreich. Seitdem hat eine Löw-Elf nicht mehr verloren. 22 Spiele am Stück. Heute noch ungeschlagen bleiben, dann wäre der Hausrekord aus der Jupp-Derwall-Ära, die vor vier Jahrzehnten begann, eingestellt.

Das Phänomen Löw bestaunen auch die Brasilianer, die in den zwölf Jahren seines Wirkens vier Trainer ihrer Selecao erlebten. Der aktuelle, Tite, erscheint strahlender als die Vorgänger, weil er in der WM-Qualifikation Erster der Südamerika-Gruppe wurde. „Er ist erfahren und hat bewiesen, dass er eine klare Philosophie hat“, lobt Löw. Der selbst wiederum viel Gutes über sich zu hören kriegt. Matthias Ginter sagt: „Er gibt uns mentale Kraft, findet auch die menschliche Ebene zu uns. Man kann alles mit ihm besprechen.“ Löw selbst sagt, die Gesprächsebene sei eine rein sportfachliche. Nur wenn Spieler ganz neu sind, „frage ich sie schon mal zu ihren Hobbys“, und wenn sie länger dabei sind, „geht es auch um Privates“.

Den Routinierten redet er auch nicht drein. Dass Jerome Boateng kritisch auf die Leistung beim 1:1 gegen Spanien reagierte – weitaus kritischer als er selbst – ließ Löw durchgehen. Sei ihm ganz recht so, wenn ein wichtiger Spieler von sich aus Sachen ansreche. Boateng, der als gebürtiger Berliner heute einen Kindheitstraum leben darf („Im Olympiastadion gegen Brasilien spielen“), wird sogar Kapitän sein – sollte der muskulär leicht verstimmte Khedira nicht antreten können. Boateng rechtfertigte seine Anmerkungen vom Freitag: „Besser, Sachen klar anzusprechen als sie verstreichen zu lassen. Nicht dass wir uns, wenn es drauf ankommt, alle blöd angucken.“

Gegen Brasilien kommt es nicht unbedingt darauf an. Also wird Joachim Löw noch Spielpraxis verteilen: an Gündogan, Sané, Plattenhardt, Ginter. Im Tor verzichtet er auf ter Stegen, der seine Patellasehne schonen darf. „Erlaubt es der Spielverlauf“, will er Leno und Trapp je eine Hälfte einsetzen.

Brasiliens Gelüste auf Rache fürs 1:7 von 2014 nimmt er wahr – und bleibt gelassen: „Das Halbfinale können sie nicht zurückholen.“

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