Sevilla – Herkules soll Sevilla gegründet haben. Er wird als „mystischer Stadtvater“ bezeichnet und soll sich einst auf jeden Fall in Andalusien herumgetrieben haben. Im Zentrum der Altstadt haben sie dem Muskelprotz einen eigenen Platz gewidmet und für ihn majestätische Säulen errichtet. Ein beliebter Treffpunkt für ein paar Tapas und Bierchen in der Sonne – doch davon werden die Spieler des FC Bayern nichts genießen können. Auf sie wartet an den Ufern des Rio Guadalquivir tatsächlich – nomen est omen – eine Herkulesaufgabe.
Dass sie darauf vorbereitet sind, haben sie mit dem 6:0 am Samstag über desaströse Dortmunder bewiesen. War die Torflut schon beeindruckend, rundeten etliche weitere Schlüsselmomente das Bild einer Mannschaft ab, die weiß, was zu tun ist. Nach gut einer halben Stunde sah man am Samstag etwa, dass Thomas Müller schon in Sevilla ist. Marcel Schmelzer versuchte, das Spiel zu eröffnen, doch der websige Münchner ließ ihn partout nicht zur Ruhe kommen – er drangsalierte ihn weit in der Dortmunder Hälfte, beim Stand von 3:0 für die Münchner. „Wir wissen, wir können nur auf eine bestimmte Art die Champions League gewinnen“, erklärte Mats Hummels später. Man sah am Samstag deutlich, welche das sein soll. Giftig.
Gewissermaßen haben die Bayern da den Plan erfasst, als Raubkopie des FC Sevilla aufzutreten. Der Gegner am heutigen Abend vereint spielerische Qualitäten mit einem energischen Pressing, Hummels warnte: „Die werden uns von der ersten Sekunde aggressiv angehen, da müssen wir sofort dagegenhalten, ansonsten drücken sie dich hinten rein.“ Mit den Waffen von Sevilla also nach Sevilla. Es verspricht, ein unterhaltsamer Abend zu werden.
Der Prolog der Partie ist beiden gelungen; die Andalusier trotzten dem FC Barcelona ein 2:2 ab, und rund um die Alameda de Hercules hätten die Tapas und das Bier noch besser geschmeckt, hätte Sevilla nur einen Herkules vorne im Sturm. Auch ein 3:0 oder 4:0 wäre drin gewesen, ist Jerome Boateng beim TV-Studium hängen geblieben. Allerdings fehlt ein Vollstrecker. In den Schlussminuten kam Lionel Messi in die Partie, und der 2:0-Vorsprung wurde noch egalisiert.
Auf so ein Künstlerpech spekulieren auch die Münchner bei ihrem Besuch. Karl-Heinz Rummenigge empfahl, die eigene „Galavorstellung gegen Dortmund“ schnell aus den Köpfen zu verbannen und tunlichst ein vernünftiges Ergebnis für das Rückspiel zu erwirtschaften. Manchester United, so der Vorstandschef, habe es versäumt, in Sevilla ein Tor zu machen. Und so wurde das Achtelfinale für die Briten zur Endstation. „Wir dürfen nicht arrogant auftreten“, unkte Rummenigge.
Zumal die Bayern ja noch ein lästiger Fluch plagt. Seit vier Jahren bedeutete ein Los aus Spanien das Aus, vergeblich arbeitete man sich an den Aufgaben FC Barcelona, Real Madrid und Atletico Madrid ab. Wer Sevilla als leichten Gegner tituliere, habe keine Ahnung vom Fußball, grantelte Uli Hoeneß, der auf die Frage, ob Bayern Favorit sei, eine ebenso knappe wie dezidierte Antwort hatte: „Nein!“
Die obligatorischen Fragen zur Trainer-Suche pendelten die Bosse beim Abflug wie gewohnt aus (Hoeneß: „Tabuthema“), doch die Personalie Niko Kovac reiste irgendwie mit. Immer lauter pfeifen die Spatzen von den Dächern, es laufe auf den Frankfurter hinaus, der einst beim FC Bayern das Mittelfeld bewachte. „Ich frage selbst ab und zu bei der Chefetage nach, aber sie sagen mir auch nichts“, erzählte Hummels zu dem Thema, „wahrscheinlich vertrauen sie mir nicht“, fügte er mit einem Grinsen hinzu. Kovac passt von seinem Spielstil her tatsächlich kaum ins Raster der Bayern; nur weil er ein Freund des Haues ist, ist diese Personalie so brisant. Ob man aber Herkulesaufgaben mit ihm stemmen kann? Fraglich.