„Wesentlich heißer als Madrid“

von Redaktion

Piotr Trochowski über Bayerns Aufgabe in Sevilla, das Netzwerk der Andalusier und imponierende Münchner Typen

München – Am Ende des Gesprächs fragt Piotr Trochowski, ob er denn noch ein paar Freizeit-Tipps für Sevilla geben könne. So etwas ist bei einem Interview noch nie passiert, und das sagt viel aus über den aufgeweckten, sympathischen Ex-Bayern. Er empfiehlt einen Besuch der Kathedrale, das jüdische Viertel und rät, die Altstadt zu Fuß zu erkunden. Sich in die Sonne setzen, Tapas essen, ein Bier trinken – die Stadt habe ungemein viel Lebensqualität, so der 34-Jährige, der von 2011 bis 2015 für den FC Sevilla spielte.

-Herr Trochowski, nach dem 6:0 über Dortmund: Ist Bayern besser denn je?

Naja, es gehören immer zwei Teams dazu – und Dortmund war erschreckend schwach, daher dieses Ergebnis. Bei Bayern kann sich keiner seines Platzes sicher sein, darum geben alle immer alles. Der Konkurrenzkampf ist beeindruckend, weil das alles Typen sind, die sich nicht hängen lassen, sondern von so einer Situation besonders angestachelt werden. Ein Franck Ribery, ein Arjen Robben leben da eine Mentalität vor, die sich auf alle überträgt. Das Mannschaftsgefüge stimmt total.

-Wie ist aktuell der FC Sevilla zu bewerten?

Sevilla hat im Gegensatz zum FC Barcelona und Real Madrid das Problem, dass man nie etwas langfristig aufbauen kann. Sie sind alle zwei Jahre gezwungen, fast eine komplette Mannschaft auszutauschen. Dementsprechend haben sie aber eine kluge Philosophie aufgebaut. Ramon Rodriguez Verdejo, genannt Monchi, war da der entscheidende Mann, er ging jetzt im Sommer zum AS Rom. Sevilla ist ungemein gut vernetzt, sie holen Spieler günstig, bilden sie aus und verkaufen sie für das Fünf- bis Sechsfache weiter. Die Europa League-Siege waren da ein wichtiger Bestandteil der Strategie: Sie boten den Spielern die nötige Bühne, und die Marktwerte sind schnell nach oben geschossen.

-Trifft der Verlust von Monchi bis ins Mark?

Es ist keine Ein-Mann-Show, sie haben ein unglaubliches Netzwerk. Aber er spricht Italienisch und Französisch, daher gab es exzellente Kontakte in die Ligen dieser Länder, genauso natürlich nach Südamerika. Sie haben insgesamt ein sehr gutes Scouting. Ich war ein Mal bei ihnen im Büro: Die hatten Spieler auf der Liste, von denen hatte ich noch nie etwas gehört. Sie schauen Ligen an, an die man normalerweise gar nicht denkt – und sie wissen alles über jeden Spieler.

-Was sind die Stärken der aktuellen Mannschaft?

Wie so oft in Spanien sieht man auch hier eine Vielzahl an quirligen, technisch sehr starken, schnellen Spielern. Das sind die Tugenden, die in der Primera Division geschätzt werden, das ist die Fußballkultur, die DNA des Landes. Gerade zuhause läuft Sevilla die Gegner von Beginn an extrem aggressiv an. Die Bayern werden wenig Platz bekommen und sich anstrengen müssen, ihre Ballbesitzwerte zu erreichen. Sie werden es in Sevilla sehr schwer haben, ihr Spiel aufzuziehen. Ever Banega muss man extra erwähnen, er hat in dieser Champions League-Saison die meisten Pässe gespielt, die angekommen sind. Er ist der Kreativste, hat zwei Mal die Europa League gewonnen. Allerdings fehlt er im Hinspiel wegen einer Gelbsperre. Das ist natürlich gut für die Bayern.

-Wie wichtig ist Jesus Navas’ Rückkehr von Manchester City?

Ich habe mit ihm in Sevilla gespielt, ehe er für viel Geld nach England gegangen ist. Er ist jetzt in seine Heimat zurückgekehrt und auch heute noch an guten Tagen der Mann, der der Mannschaft ein Gesicht gibt. Es fehlt ihm die Geschwindigkeit von früher, und zuletzt war er verletzt. Aber beim 2:2 gegen Barcelona am Samstag stand er wieder auf dem Platz. Er hat nach wie vor eine hohe Qualität. Insgesamt kommt Sevilla aber mehr über das Kollektiv.

-Wo stünde der FC Sevilla, wenn das Team in der Bundesliga spielen würde?

Die Bayern wären trotzdem weit voraus. Ich würde Sevilla auf den Tabellenplätzen zwei bis vier einreihen. In Spanien kommen sie auch erst hinter Barcelona, Real und Atletico Madrid, mit einigen anderen. An die großen Drei kommt keiner heran. Sevilla muss immer etwas aufbauen. Sie haben sich als Ausbildungsverein etabliert, der regelmäßig gute Spieler hervorbringt und so viel Kasse macht.

-Die Bayern haben bei Istanbul Isatnbul eine Feuertaufe in Sachen Hexenkessel bestanden – aber mit einem mehr als beruhigenden Hinspiel im Rücken. Wie wird es in Sevilla?

Auch ein Hexenkessel. Die Fans peitschen das Team von der ersten Minute nach vorne. Sevilla stand noch nie im Viertelfinale der Champions League, das setzt weitere Kräfte frei. Die Stimmung ist wesentlich heißer als etwa in Madrid, wo das Publikum ja sehr erfolgsverwöhnt ist. Die Bayern sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber sie sind professionell genug, sie werden Bescheid wissen.

-Wie sind Ihre persönlichen Erinnerungen an Ihre Zeit in Sevilla?

Es war eine tolle Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Leider habe ich mich im zweiten Jahr, als ich gerade auf meinem höchsten Level war, schwer verletzt. Damals hatte ich gerade beim 1:0 über Real Madrid das Tor des Tages geschossen und im nächsten Heimspiel auch beim 3:2 über Barcelona getroffen. Doch da musste ich verletzt raus. Ich war ein Jahr weg, danach konnte ich nicht mehr so an mein Niveau anknüpfen.

„Frankreich ist die Mannschaft der Zukunft“

-Sie spielten 35 Mal für die DFB-Auswahl, wurden 2008 Vize-Europameister, und das WM-Halbfinale 2010 gegen Spanien (0:1) war Ihre letzte Partie mit dem Bundesadler. Was trauen Sie Joachim Löws Team in Russland zu?

Die Titelverteidigung ist möglich. Ich habe noch zwei andere Nationen auf dem Zettel: Spanien fand zu alter Stärke, mit denen muss man wieder rechnen. Und Frankreich ist die Mannschaft der Zukunft mit diesen jungen Spielern.

-Löw hat eine Auswahl wie nie, auch auf Ihrer alten Position im offensiven Mittelfeld. Mario Götze und André Schürrle spielten gegen Bayern erneut gespenstisch. Verpassen die Helden der WM 2014 das Turnier?

Das muss Löw entscheiden, aber es ist schon wahr, dass beide nicht mehr an die erinnern, die sie mal waren. Und Löw hat so viele Alternativen, dass er es sich eigentlich nicht leisten kann, Spieler wegen Leistungen aus der Vergangenheit zu nominieren. Letztlich zählt im Fußball die Momentaufnahme.

-Was ist realistischer: Dass Bayern die Champions League holt oder Deutschland den WM-Titel?

Boah, das ist schwer zu sagen. Ich denke, für die Bayern stehen die Chancen insgesamt etwas schlechter.

Interview: Andreas Werner

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