Bekanntlich ist der TSV 1860 kein Verein wie jeder andere. Als Reaktion auf den Doppelabstieg liefen dem Altmeister 2000 neue Mitglieder zu. Heimspieltickets werden gehandelt wie seltene Briefmarken. 1860-Fans waren eben schon immer Meister darin, Tiefschläge wegzustecken. Und wenn es mal besser läuft wie zurzeit, dann ist es nicht untypisch, wenn die Grenzen zwischen Überschwang und Übermut leicht verwischen. Die jüngsten Beispiele: Fans drängen den OB dazu, den Rathausbalkon für die Aufstiegsfeier zu öffnen – noch ehe die Playoff-Teilnahme zu 100 Prozent gesichert ist. Dazu passt eine im Netz kursierende Aufstiegs-Fotomontage (Bierofkas Kopf auf dem Körper des halbnackten Wettberg). Andere wälzen Carpe-Diem-Ratgeber, Löwen scheint die Kunst, im Hier und Jetzt zu leben, in der DNA zu liegen.
Carpe Diem-DNA
Allerdings: Löwen liegt noch etwas anderes in den Genen – der Hang, sich das Leben selbst schwerzumachen. Anstatt mit Scheuklappen den sportlichen Schicksalstagen im Mai entgegenzufiebern (24./27.), rückt bereits das nächste wegweisende Datum in den Fokus: der 22. Juli. An diesem Tag sollen die jetzt 22 000 Mitglieder einen neuen Verwaltungsrat wählen. Ein satzungstechnisch normaler Vorgang, eigentlich. Seit sich am Montag jedoch eine Opposition aus der Deckung gewagt hat, ahnt man: Es könnte ein Tag werden, an dem der Verein einer neuen, beispiellosen Zerreißprobe unterzogen wird.
Zwei Lager sind es, die sich scheinbar unversöhnlich gegenüber stehen: die Ismaik-Skeptiker um den Präsidenten Reisinger – und das selbst ernannte Team Profifußball, das um die Gunst von Investoren buhlt und sich Realismus auf die Fahne schreibt. Kampfthese: Wird der aktuelle Kurs fortgesetzt, schnappt die Amateurfalle zu und 1860 endet wie Rot-Weiß Essen oder Alemannia Aachen.
Wie dieser 22. Juli ausgeht, wagt keiner vorherzusagen. Insider glauben: Es wird schmutzig. Tröstlich ist nur, dass es trotzdem irgendwie weitergehen wird bei 1860. War schließlich immer so. Wie sagte Matthias Pantke vom Team Profifußball? Den Laden zuzusperren, ist auch keine Alternative. uli kellner