Stuttgart – Als Petra Kvitova gestern zur mittäglichen Trainingseinheit den Platz betrat, stand Julia Görges mit gepackter Schlägertasche am Netz, bereit zum Abmarsch nach getaner Arbeit. Weil sie im Gespräch mit dem mit dem neuen Kapitän des Fed-Cup-Teams, Jens Gerlach, und der Chefin des deutschen Frauentennis, Barbara Rittner, noch ein paar Details austauschte, bemerkte Görges den Gruß der Tschechin zunächst nicht, doch Kvitova bleib so lange stehen und suchte den Blickkontakt, bis die deutsche Konkurrentin den Blick erwiderte. Nun könnte man sagen, das seien normale Umgangsformen – schön wär’s –, aber die kleine Szene ein paar Tage vor dem Halbfinale war ein schönes Beispiel für zugewandtes Miteinander.
Alle im deutschen Team freuen sich darüber, Petra Kvitova auf der anderen oder derselben Seite des Netzes zu sehen, und das hat über die normale Sympathie hinaus einen dramatischen Grund. Im Dezember 2016 wurde die Tschechin daheim in ihrer Wohnung von einem Einbrecher mit einem Messer angegriffen und schwer an ihrer linken Hand verletzt. In einer komplizierten Operation versuchten die Ärzte danach, Sehnen und Nerven ihrer Schlaghand zu reparieren, aber es gab danach viele Tage, an denen sie zweifelte, ob sie je wieder Tennis spielen würde.
Und es ging ja nicht nur um die körperlichen Schmerzen; von einem Menschen in der eigenen Wohnung angegriffen zu werden hinterlässt in der Seele mindestens so schlimme Narben wie Stiche in die Hand. Doch schon nach einem halben Jahr kehrte sie bei den French Open 2017 zurück, und mit der Offenheit, mit der sie über alles sprach, manchmal unter Tränen, viel öfter lächelnd, bewegte sie die Menschen. Und selbst wenn sie sie verlor, sagte sie Sätze wie diesen: „Auch wenn ich nicht weiterkomme und das hier das Ende ist, dann ist es ein Happy End.“
Ein paar Wochen nach ihrem ersten Spiel gewann sie beim Rasenturnier in Birmingham den 20. Titel ihrer Karriere, darunter als Herzstücke die beiden aus Wimbledon. Die bisher beste Phase in diesem Jahr erlebte sie im Februar, als sie in Doha und St. Petersburg Nummer 21 und 22 gewann und dazwischen zwei Siege beim Fed Cup der Tschechinnen gegen die Schweiz unterbrachte. 2017, ohne Kvitova, hatten ihre Landsfrauen nach drei aufeinander folgenden Titeln nicht das Finale erreicht. Fünfmal zwischen 2011 und 2016, immer im November, feierte sie mit ihrer Mannschaft den Sieg im Fed Cup.
In der deutschen Mannschaft ist der Name der Konkurrentin allerdings auch mit der Erinnerung an ein weniger erbauliches Wochenende im November 2014 verbunden. Damals spielten sie zum ersten Mal nach 22 Jahren wieder im Finale, doch Kvitovas Auftritte bei den Siegen gegen Andrea Petkovic am ersten und gegen Angelique Kerber am zweiten Tag waren nicht nur zwei Punkte wert. Sie bestimmten den Ton und befeuerten die Atmosphäre in der mit 10 000 Zuschauern gefüllten Prager Arena.
Gerlach glaubt, seinerzeit habe der Heimvorteil der Tschechinnen sicher eine wichtige Rolle gespielt, und auf einen ähnlichen Effekt hofft er diesmal in Stuttgart zugunsten seines Teams. Zu den Aussichten seiner Mannschaft mit Julia Görges und Angelique Kerber an der Spitze gegen die dominierende Mannschaft des aktuellen Jahrzehnts sagt der 44 Jahre alte Stuttgarter: „Das sind zwei klasse Mannschaften, die sich aus meiner Sicht auf Augenhöhe befinden.“ Der tschechische Kollege Petr Pala sieht die Sache genauso, und alles deutet darauf hin, dass die Zuschauer in der Porsche Arena ein ziemlich spannendes Wochenende erleben werden.
Gerlach wird zum ersten Mal bei einem Heimspiel als Chef des Teams auf der Bank sitzen, und er weiß spätestens seit seinem Auftritt Anfang Februar in Weißrussland, wie stressig das sein kann. Ohne Görges und Kerber war er nach Minsk gefahren, doch die Truppe gewann auch dank eines bemerkenswerten Debüts der jungen Antonia Lottner und nach einem nervenaufreibenden Doppel von Tatjana Maria und Anna-Lena Grönefeld.
Nichts gegen Weißrussland, aber Karolina Pliskova (Nummer 6 der Weltrangliste), Petra Kvitova (10), Barbora Strycova (26) und Katerina Siniakova (52) sind doch ein anderes Kaliber.