München – Mittwochabend, 23.15 Uhr, das dritte Playoff-Finalspiel zwischen dem EHC München und den Eisbären Berlin war seit gut eineinviertel Stunden vorbei. 4:1 war es ausgegangen für den Meister, in der Best-of-Seven-Serie ging er 2:1 in Führung. Der gewöhnliche Zuschauer mag sich denken: Sicher sind die Spieler schon alle im Bett, haben die Gedanken bereits gerichtet auf das nächste Spiel, das am Freitag (19.30 Uhr) in Berlin stattfindet. Denn in den Playoffs ist man im Tunnel und kommt gar nicht mehr dazu, zu leben.
Doch das stimmt gewiss nicht in allen Fällen. Jedenfalls: Mittwochabend, 23.15 Uhr, McDonald’s-Filiale am Münchner Nordbad, nicht weit entfernt vom Eisstadion. Zwei sportliche Herren in weißen Hemden haben sich in Frauenbegleitung am Fenster niedergelassen. Auf dem Tisch steht schon allerhand, dann steht einer von den beiden noch auf, geht zur Theke und holt noch Nachschub: zwei Burger, zwei Portionen Pommes. Für sich und den Freund. Und so haben sie beherzt beim Schnellbrater ihres Vertrauens zugegriffen: Steve Pinizzotto und Brooks Macek, Stürmer des EHC München.
Dabei gehört gute Ernährung zum Münchner Konzept, in der Kabine gibt es frische und wissenschaftlich durchdachte Kost nach jedem Spiel. Und Fast Food 44 Stunden vor dem nächsten Spiel, mit dem die Mannschaft des EHC sich in die Superausgangslage einer 3:1-Führung bei nachfolgendem Heimspiel bringen kann – nun ja.
Aber vielleicht können die Münchner sich die Abweichung vom Ernährungsplan auch einfach leisten. Denn sie sind in dieser Finalserie sukzessive besser geworden. Wie Trainer Don Jackson sagt: „Wir haben gelernt. Und wir sind im Moment ziemlich glücklich.“
Im ersten Spiel (3:4 verloren) kam der EHC nicht zu seinem gefürchteten Forecheck, im zweiten (5:4 in Berlin gewonnen) agierte er weitgehend in gewohnter Souveränität, hatte hinten raus aber Probleme, als sich den Eisbären bis zur letzten Sekunde Ausgleichsmöglichkeiten boten. Nun im dritten (4:1) zerlegte der EHC die Berliner allein mit seinem Überzahlspiel (drei Treffer). Da musste Berlins Trainer Uwe Krupp einräumen: „München war 40 Minuten die bessere Mannschaft. Sie war schneller, sie hat gute Entscheidungen getroffen und sich in unserem Drittel festgesetzt.“ Don Jackson (EHC) sprach von einer „akzeptablen Menge an Schüssen, die wir abgegeben haben“. Es waren 45 (Berlin hatte 27). „Unabhängig vom Ergebnis“, befand der Münchner Coach, „war es unsere beste Vorstellung in der Finalserie“.
Es wirkt, als ginge der Trend beim EHC München nach oben und als würde Berlin seine Grenzen erkennen müssen – so wie im vorigen Jahr, als beide Klubs in den Halbfinals aufeinandertrafen, die Eisbären ebenfalls mit einem Sieg in der Münchner Olympia-Eishalle loslegten, dann aber einbrachen und die Serie mit 1:4 abgeben mussten.
Natürlich wollen es die Berliner so nicht wieder geschehen lassen. Worum es für sie in Spiel vier geht? „Am Leben zu bleiben“, sagt James Sheppard, einer der Führungsspieler auf Eisbären-Seite, der sich am Mittwochabend mit Burger-König Pinizzotto (er nennt ihn „diesen Typen“) auseinanderzusetzen hatte. Er wollte sich eigentlich nicht provozieren lassen von den Attacken und diesmal auch Schauspieleinlagen Pinizzottos – „doch wenn ein gegnerischer Spieler auf unseren Torwart geht, muss ich eingreifen und eben die Strafe nehmen“. Sheppard will sich nun zur Gelassenheit zwingen: Klar weiß er, dass sich bei einer Niederlage die Position seines Teams massiv verschlechtern würde. Das vierte Spiel einer Siebener-Serie wird im Eishockey immer als Schlüsselspiel ausgewiesen. Doch Sheppard sagt: „Ach, Spiel eins war ein Schlüsselspiel, Spiel zwei war es. . . Jedes ist eines.“
Frank Hördler, einer von drei Silbermedaillengewinnern bei den Eisbären, wählt den pragmatischen Ansatz: „Dieses Spiel ist zu Ende, wir können es nicht mehr ändern. Aber wir können das nächste beeinflussen.“ Es sei nichts Dramatisches geschehen, „auch wenn unser Plan ein anderer war. München hat sich das Heimrecht zurückgeholt. Es steht 2:1, aber nicht 3:0.“ Woraus er Hoffnung bezieht: „Am Ende haben wir wieder simpel gespielt und gezeigt, wie es gehen könnte.“ Hördler rät, „mehr Selbstvertrauen zu haben, näher am Mann und aggressiver zu sein“. Und sich nicht auf Scharmützel einzulassen: „Necken gehört dazu, es sind Playoffs.“
Der Münchner Plan mit Steve Pinizzotto als Nervensäge ist bislang aufgegangen; kein Zufall, dass der EHC das Spiel, in dem der Deutschkanadier wegen seiner Sperre noch fehlte, verlor. Doch die Münchner haben aber auch einige Spieler in Hochform. Auffällig ist sie bei Jon Matsumoto, der nominell im vierten Sturm spielt, aber zu den beiden Überzahl-Formationen gehört und in allen drei Finals ein Tor schoss, „Er hat nicht viel Eiszeit, aber wenn man ihn braucht, ist er da“, meint Kollege Yannic Seidenberg.
Der EHC ist Berlin in den „special teams“ überlegen. Überzahlquote: 29,03 Prozent vergleichen mit 16,00. Unterzahl: 80,95 versus 70,18 Prozent. Welten. Aber für Don Jackson noch nicht die Garantie, dass es so weitergeht. „Ein Eishockeyspiel“, sagt er, „ist wie eine Schachtel Pralinen: Du weißt nie, was drin ist.“ Unberechenbarer als ein Menü von Pinizzotto.