München – 14.30 Uhr war die ideale Anfangszeit für ein Spiel, in dem man Meister werden kann. Weil dann noch so viel vom Tag übrig ist, um zünftig zu feiern. Konkret: die dritte Deutsche Eishockey-Meisterschaft für den EHC München. Indes: Um 17.23 Uhr ertönten Jubelschreie durch die Halle. Die „falschen“. Es waren die Eisbären Berlin, die sich die ekstatische Freude gönnten. Ein episches Match beendeten sie nach 76 Sekunden Verlängerung durch Jamie MacQueen mit dem Treffer zum 6:5-Sieg. Was bedeutet: In der Best-of-Seven-Serie führt der Titelverteidiger EHC München nur noch 3:2. Er muss noch einmal nach Berlin. „Am Dienstag geht’s weiter“, sprach Münchens Trainer Don Jackson den Satz, den er nicht hatte sagen wollen. Er fügte an: „30 Minuten sind wir jetzt sauer.“
Am Ende kam es gar nicht so sehr auf den (Tages-)Sieger an, um zu wissen: Man hatte ein sehr besonderes Spiel erlebt. Wann geht ein Finale in der regulären Spielzeit schon mal 5:5 aus? Und wann ist die Dramaturgie so wie diese?
Also: Berlin erfüllte die Prognose von Leon Draisaitl, dem deutschen NHL-Star, der am Freitag Spiel vier verfolgt hatte: „ich würde die Eisbären noch nicht abschreiben“, sagte der Nationalspieler. Vor allem strahlten die Berliner den Glauben an sich selbst aus, es war ja auch der 22. April. Ein spezieller Tag, genau vor sechs Jahren hatten sie die Finalserie gegen Mannheim gedreht, es war ein entscheidender Moment auf dem Weg zum Titel.
Die Berliner gingen am Sonntag in München in klassischer Rücken-zur-Wand-Ausgangsposition, 2:0 und 3:1 in Führung, die Schussstatistik des ersten Drittels sah sie mit 13:6 vorne – als Auswärtsteam! Bei den Münchnern patzte Maxi Kastner zweimal, er hatte bis dahin formidable Playoffs gespielt. Seine Fehler (Sturz, Scheibenverlust) nutzten Rankel (7.) und Oppenheimer (13.), Macek gelang der Anschluss (15.), doch die EHC-Abwehr leistete sich eine weitere Unpässlichkeit, als sie Mark Olver durchbrechen und von hinterm Tor auf MacQueen passen ließ.
Ab da verstärkte der EHC die Offensivbemühungen, spielte ein dominantes zweites Drittel, kam aber nicht ganz heran. 2:3 Christensen (26.) – ein Glücksfall, zuvor war dem Berliner Kai Wissmann der Schläger zerborsten, was München den Konter gestattete. Andre Rankel ließ wiederum das 2:4 folgen (39.), der seltene Fall eines Eisbären-Überzahlspielers; begünstigt dadurch, dass der Münchner Jaffray seinen Stock verlor und nur noch mit dem Körper verteidigen konnte.
Drittes Drittel: EHC-Sturmlauf. Und die Annäherung ans Happy-End. Brooks Macek aus der Drehung zum 3:4 (42.), Jon Matsumoto nach 32 Sekunden Powerplayspiel zum 4:4. Das Gefühl, das Momentum auf seine Seite gebracht zu haben, musste der EHC 20 Sekunden später loslassen: Penalty für Berlin (verschuldet von Boyle), Sheppard verwandelte zum 5:4 für die Eisbären. Die anschließend Powerplay-Chancen hatten. Aber, es muss ja immer noch ein wenig verrückter gehen: Sie brachten nichts zuwege und liefen in einen Konter des von der Strafbank kommenden Kony Abeltshauser, der Keith Aucoin bediente: 5:5 fünf Minuten vor Schluss. 15:8 Torschüsse für München lautete die Bilanz dieses letzten Abschnitts.
DEB-Präsident Franz Reindl sagte: „Ein wahres Finale. Ich bin begeistert, mit welcher Härte die Spieler zur Arbeit gehen.“
Und es war immer noch nicht alles an Verrücktheiten ausgespielt. In der ersten Minute der Overtime hatte Macek das leere Tor vor sich – und traf den Puck nicht richtig. Daraufhin fuhr MacQueen für die Eisbären einen eleganten Gegenstoß und feuerte die Scheibe aus dem Handgelenk ab. Klar ersichtlich war: Sie schlug im Netz ein. Aber: Das Tor war verschoben, der Berliner Bukarts in Danny Aus den Birken hineingerutscht, allerdings auch geschoben von EHC-Kapitän Wolf. Eine unübersichtliche Szene, doch nach Videostudium die Entscheidung der Schiedsrichter Rohatsch und Schukies: regulär, Tor „Meiner Meinung nach“, sagte Don Jackson, „war das Tor aus der Verankerung“. Ihn störte aber genauso das Defensivverhalten, mit dem die Aktion seitens seiner Spieler zugelassen wurde. Dem Tages-Pechvogel Kastner grollte er nicht, denn: „Er ist ja das ganze Jahr über besser geworden.“
Jackson sah Comeback-Charakter in seinem Team, und der wird auch am Dienstag in Berlin gefragt sein. Uwe Krupp von den Eisbären war sehr zufrieden mit seinem Team: „Jeder wollte noch einmal Eishockey spielen.“ Jeder Berliner, ja.