München – Dieses Motiv – Jerome Boateng sitzt am Boden, streckt beide Beine lang nach vorne und hebt den Arm –, das kennt man schon. Man hat es vor gut zwei Jahren beim Spiel in Hamburg gesehen, man hat es im EM-Halbfinale 2016 gegen Frankreich gesehen, und man war sich beim FC Bayern einig, dass man es eigentlich nicht noch einmal sehen wollte. So richtig getraut aber hat man der Ruhe um den geschundenen Körper des Nationalspielers nicht. Wie man seit Mittwoch weiß: Aus gutem Grund.
Dass es kein Spaß, sondern bitterer Ernst war, als Boateng da saß und den Arm hob, war sofort klar. Wenn ein Mann dieses Formats und vor allem mit dieser Vorgeschichte Schmerzen signalisiert, handelt es sich nicht um Kinkerlitzchen. Von einer schweren Muskelverletzung im linken Oberschenkel wurde nachts gemunkelt, eingehende Untersuchungen brachten gestern Gewissheit. Vier bis sechs Wochen soll der 29-Jährige ausfallen. Damit ist nicht nur der Saison-Endspurt mit Bayern gelaufen, sondern auch die WM ernsthaft in Gefahr.
„Jerome ist ein unglaublich wichtiger Spieler für uns“, sagte Niklas Süle, der nun einspringen muss. Und das in einem Jahr, in dem Boateng seine Leidenszeit eigentlich endgültig hinter sich lassen wollte. Nach knapp 400 Fehltagen binnen zwei Jahren sah Jupp Heynckes ihn pünktlich zur heißen Phase „fast in der alten Topform, die er 2013 hatte“. Harte Arbeit, physisch wie psychisch, war notwendig, um so weit zu kommen. Das Vertrauen des Trainers tat sein Übriges.
Heynckes musste schon am Mittwoch umplanen, Joachim Löw macht sich spätestens seit gestern Gedanken um seine Innenverteidigung. Das WM-Trainingslager startet am 23. Mai, das ist für Boateng nicht zu schaffen. Und auch bei allem, was danach kommt, wäre das Risiko für das bekannte Motiv groß. Das lehrt – leider – die Erfahrung. hlr