Madrid – Um die Nachtruhe der Profis des FC Bayern war es sicher nicht gut bestellt, insofern dürfte sich der Ärger in den Morgenstunden in Grenzen gehalten haben, als plötzlich der Feueralarm im Hotel losheulte. Um 5 Uhr mussten alle ihre Zimmer verlassen, es entpuppte sich aber dann freilich als Fehlalarm. Ob der eine oder andere davor oder danach Schlaf gefunden hatte, ist nicht überliefert. Zum Zeitpunkt, als die Münchner nach dem 2:2 gegen Real Madrid das Bernabeu verließen, waren sie bereits im Begriff, in tiefes Brüten zu verfallen.
Karl-Heinz Rummenigge verstand seine Bankettrede folglich als Aufbauhilfe. Was sagt man Spielern, die ein Aus im Champions League-Halbfinale zu verdauen haben, wie es schwerer kaum im Magen liegen kann? Eigentlich sollte nach so einem Spiel die Zeit einfach stillstehen, hatte Thomas Müller gesagt. Doch das Leben ist hart, nichts stand still, und so sparte Rummenigge nicht mit Lob, während die Spieler mit leerem Blick in ihre Gläser starrten. „Wir haben heute Abend das beste Spiel in der Champions League gesehen, das ich in den letzten fünf Jahren mit Bayern erlebt habe“, begann er und wurde sofort von einem Beifallssturm im Ballsaal unterbrochen. „Ich glaube, wir stimmen überein, dass wir die beste Mannschaft – und Real Madrid ist im UEFA-Ranking zurzeit Tabellenführer – am Abgrund hatten“, führte der Vorstandschef weiter aus. Das einzig Traurige sei, „dass wir es nicht geschafft haben, sie in den Abgrund hinein zu stürzen“. Das Spiel sei „beste Werbung für den Fußball“ gewesen. Sportchef Hasan Salihamidzic hatte es bereits in den Katakomben des Bernabeus genauso gesagt: „Das war Werbung für den Fußball, Werbung für den FC Bayern.“
Das Spiel war tatsächlich eine feine Visitenkarte. Und dennoch stieß Müller in seiner Analyse nicht zu Unrecht die Frage an, warum auf der Karte weniger große Erfolge als große Niederlagen stehen. Neben dem Glück habe „die Qualität in Details gefehlt“, sagte er. „Wir haben die entscheidenden Fehler gemacht, vorne wie hinten. Es liegt nicht an etwas Grundsätzlichem, dass es nicht reicht. Es wiederholt sich aber in all den Jahren, dass wir einfach zu viele individuelle Fehler machen.“ Er habe dazu jedoch keine stimmige Theorie, fügte er ratlos hinzu. „So knapp auszuscheiden, ist extrem bitter. Wenn man zurückschaut, wie man gescheitert ist, bessert das nicht die Laune.“
Nicht nur Müller fragte sich, warum sich die Münchner Geschichte in solchen Spielen wiederholt. Die Verletzungen – es fehlten fünf Eckpfeiler – kann man als eine Erklärung heranziehen, muss man aber nicht, Bayern hatte Real auch so weite Strecken dominiert. „Wir waren verdammt nah dran“, klagte Mats Hummels, der von einem Gespräch im Kabinengang mit Reals Toni Kroos berichtete, das eigentlich alles sagte. „Toni meinte zu mir: ,Das Ding haben nicht wir gewonnen – ihr habt es euch selber zuzuschreiben, dass ihr nicht im Finale seid.’ Und damit hat er leider Recht.“ Man habe den Gegner mit zwei Toren eingeladen, sagte Hummels, dazu das Geschenk zum 2:1 im Hinspiel. „Gefühlt haben wir das Spiel im 16er von Real verbracht. Es wäre falsch zu sagen, Real war abgezockter, sonst hätten wir ja nicht so viele Chancen gehabt.“
Es sei „eine Mischung aus allem“, sagte Hummels, „die Fehler, die zu Toren führen, sind Unvermögen. Aber wenn man in Madrid 21:9 Torschüsse hat, hat man nicht viel falsch gemacht.“ Letztes Jahr sei man „nicht so stark gewesen, dieses Jahr ist die Enttäuschung größer, weil wir eine der besten Mannschaften der Welt so nah am Ausscheiden hatten. Ich hoffe, nächstes Jahr reden wir darüber, dass der Gegner 18 Mal an den Pfosten geschossen hat und wir nicht wissen, wie wir weitergekommen sind.“
Ob die Bayern auf Sicht auf Schlagdistanz zu Europas Elite bleiben, muss sich allerdings erst weisen. Ein schleichender Substanzverlust ist schon zu bemerken, an Kleinigkeiten wie Fehlern von Rafinha, Ulreich und Tolisso, während bei Real selbst ein Karim Benzema aus der zweiten Reihe in der Lage ist, ein Halbfinale in der Champions League zu entscheiden. „Es ist bitter, dass der ganze Schmarrn wieder von vorne beginnt“, sagte Müller. Jupp Heynckes konnte es sich hingegen leisten, den Moment zu konservieren: „Ich habe den FC Bayern in dieser Verfassung, in der Form, viele Jahre nicht mehr gesehen.“ Der Gedanke, dass das zu großen Teilen an dem scheidenden Coach liegt, führt dazu, dass man sich auch das eine oder andere Mal mehr als sonst unruhig im Bett herumwälzt.