Der deutsche WM-Kader 2018

Wo sind all die Weltmeister hin?

von Redaktion

Eine überraschende Zahl: Nur neun der 23 Champions von 2014 können nun antreten, um den Titel zu verteidigen

Von Günter Klein

Dortmund/München – Berti Vogts war am Dienstag auch zur Nominierung des WM-Kaders durch Joachim Löw nach Dortmund gekommen, der DFB hatte ihn eingeladen. Als Zeitzeugen dafür, wie schwer es fällt, das zu erreichen, was die deutsche Nationalmannschaft nun anstrebt: den Titel als Weltmeister zu verteidigen. Vogts ist zweimal an dem Vorhaben gescheitert.

Er war 1974 und 78 als Spieler dabei. In Argentinien musste man „die Fehler ausbaden, die nach 1974 gemacht wurden“. Der Verband war stur, er berief keine Nationalspieler, die zu einem ausländischen Verein gegangen waren. Resultat: ein für deutsche Verhältnisse desaströses Turnier, in das die Niederlage gegen Österreich (Cordoba!) fiel. 1990 wurde Vogts als Co-Trainer von Franz Beckenbauer Weltmeister, vier Jahre darauf war er Chefcoach, als man im Viertelfinale gegen Bulgarien ausschied: „Die individuellen Spieler waren besser, doch wir hatten keine Mannschaft. Dafür drei Grüppchen.“ 2018 jedoch, so tippt Vogts, stehen die Chancen sehr gut, ein zweites Mal nacheinander Weltmeister zu werden, denn: „Diesmal hat sich die Mannschaft nicht sehr verändert.“

Viele Fans werden diesen Eindruck von Berti Vogts teilen – indes, er ist falsch. Denn in dem vorläufigen 27er-Kader, der am 23. Mai ins Trainingslager nach Südtirol gehen wird, finden sich nur neun Weltmeister von 2014. Torhüter Manuel Neuer, die Verteidiger Mats Hummels, Jerome Boateng und Matthias Ginter sowie von den offensiveren Kräften Sami Khedira, Toni Kroos, Thomas Müller, Julian Draxler, Mesut Özil. Die größere Fraktion stellen die Confed-Cup-Sieger von 2017 (wobei zu diesen auch die Weltmeister Draxler und Ginter gehören).

Nur neun von 23 Champions übrig – was ist mit den anderen geschehen?

Einer von ihnen ist ja in Russland wieder dabei – nur in anderer Funktion: Miroslav Klose ist nicht mehr Torjäger, sondern Torjäger-Trainer, als Mittelding zwischen Assistent und Praktikant bei Löw. Am Dienstag in Dortmund musste er im Trainereinheitslook auftreten (grauer Anzug, schwarzes Shirt) und die Bemerkung der Kollegen hinnehmen, dass nach der WM für ihn die Mühle des Tagesgeschäfts anstehe: Klose wird dann U 17-Trainer beim FC Bayern.

Er hatte nach der WM 2014 die Karriere als Nationalspieler beendet – wie damals Philipp Lahm und Per Mertesacker. Bastian Schweinsteiger folgte nach der EM 2016, Lukas Podolski gleichfalls (wenngleich er sein Abschiedsspiel auf 2017 schob).

Bleiben aber immer noch neun Weltmeister, die aus der Nationalmannschaft nicht offiziell zurückgetreten sind – für einige hat sich das Thema stillschweigend erledigt, andere hoffen auf bessere Zeiten und ein Comeback.

Bei den Torhütern wollte Joachim Löw der nachdrängenden Generation (ter Stegen, Leno, Trapp) die Türe öffnen, daher ließ er Torwarttrainer Andy Köpke ein letztes Lob aussprechen („Mit Roman Weidenfeller und Ron-Robert Zieler wären wir in Brasilien genauso Weltmeister geworden“) und beschloss das Kapitel.

Weidenfeller war einer der Dortmunder Spieler, die bei der WM keine Minute im Einsatz waren, trotzdem offiziell Weltmeister wurden und mit der Wertschätzung und dem Ruhm erst einmal klarkommen mussten. Der BVB geriet in ein Tief, das auch Kevin Großkreutz (der im Finale vor der Einwechslung gestanden war, dann disponierte Löw um) und Erik Durm erfasste. Bei Großkreutz kam so viel zusammen, dass er seinen geliebten BVB verlassen musste und durch die Landschaft irrlichterte: Galatasaray Istanbul, für das er nie spielte, weil eine Transferfrist um Sekunden verpasst wurde, VfB Stuttgart (Turbulenzen im Nachtleben – Trennung), zuletzt Darmstadt, 2. Liga. Großkreutz ist erst 29, doch sein Marktwert auf unter eine Million gesunken.

Erik Durm, mit wenigen Ligaspielen ins WM-Aufgebot 2014 gekommen, ist wieder der Nobody, der er vor Brasilien war. Heimgesucht von Verletzungen. Sein letztes Spiel: ein Jahr her, insgesamt ist er nur 64 Mal in der Bundesliga aufgelaufen. Teilzeitarbeiter. Im Sommer 2019 wird sein Vertrag in Dortmund auslaufen.

Benedikt Höwedes spielte bei der WM 2014 jede Minute, er wäre mit einem Kopfball kurz vor der Pause fast zum Finaltorschützen und Weltmeistermacher geworden – doch er hat gesundheitlich für alle Anstrengungen gebüßt. Schalke, sein Heimatclub, lobte ihn zu Juventus Turin weg, wo er wieder eine Seuchensaison erlebte: drei Spiele nur in der Serie A.

Shkodran Mustafi wurde zuletzt von Jogi Löw ignoriert, doch zehrt noch von der Weltmeister-Reputation. Er wechselte von Sampdoria Genua zum FC Valencia und von dort zum FC Arsenal, im Vereinsfußball ist er gut im Geschäft. Ähnlich lief es bei Andre Schürrle: FC Chelsea, VfL Wolfsburg, Borussia Dortmund. Der beste Einwechselspieler der deutschen WM-Geschichte wurde einmal für 32, dann für 30 Millionen Euro transferiert. Gut für den Geldkreislauf – doch seine Leistung gilt diesen Summen als nicht mehr angemessen.

Schürrle ist aber noch kein richtiger Ex-Nationalspieler. Auch die 2014er-Entdeckung Christoph Kramer, im Finale von Rio bis zu den Auswirkungen seiner Gehirnerschütterung („Schiri, ist das das WM-Finale?“) dabei, darf auf ein Comeback hoffen. In Mönchengladbach ist er ein zentraler Spieler. Die Leistungsdaten stimmen.

Schließlich noch Mario Götze. Von den Bayern zurückgewechselt nach Dortmund, doch es tat sich ein neues Problem auf: eine Stoffwechselerkrankung wurde diagnostiziert, sie erklärt die Gewichtsschwankungen des Hochbegabten.

Mario Götze erlebte eine Saison, „die wahrlich nicht seine war“, so formulierte es Jogi Löw. Aber: Er ist immer noch jung, 25. „Kein Alter“, sagt DFB-Präsident Reinhard Grindel, „das ausschließen würde, dass er nochmals ein großes Turnier spielen würde. Ich wünsche ihm einen Neuanfang nach der WM.“

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