Geschafft! Die Löwen heben ab

von Redaktion

1860 leidet gegen bärenstarke Saarbrücker, erzwingt aber mit Moral und Glück den Aufstieg

von uli kellner

München – Quälende fünf Minuten Nachspielzeit mussten die abgekämpften Löwen ertragen, ehe sich mit dem Schlusspfiff ein Wunder biblischen Ausmaßes vollzog. Lahme waren schlagartig wieder quicklebendig. Der verletzte Youngster Noel Niemann humpelte mit Donjoy-Schiene auf den Platz, Timo Gebhart war trotz Krücken fast schon im Sprinttempo unterwegs. Die geballte Freude musste raus, all die Emotionen, die sich in einem finalen Aufstiegskrimi angestaut hatten. Nachdem der TSV 1860 acht Minuten lang scheintot war, ab der 58. Minute mit 0:2 gegen bärenstarke Saarbrücker scheinbar hoffnungslos hinten lag, hatte eine kaum erwartete Aufholjagd noch einmal die allerletzten Energien mobilisiert.

Sascha Mölders, wer sonst, war es, der per Strafstoß die Hoffnung zurückbrachte (66.). Simon Seferings, zehn Sekunden zuvor eingewechselt, traf in der 83. Minute zum 2:2-Endstand. Spätestens ab da wirkte der technisch und körperlich überlegene FCS angeknackst, beeindruckt auch vom Momentum, das so oft in diesen insgesamt 189 Relegationsminuten die Seiten gewechselt hatte. „Schön gespielt haben wir heute nicht“, erklärte Vizekapitän Jan Mauersberger, der mit einer verunglückten Abwehraktion den 0:1-Rückstand mitverursacht hatte: „Wir wussten um Saarbrückens brutale Qualität, aber wir haben es geschafft, mit Mann und Maus irgendwie zu verteidigen – mit Glück, mit Geschick und dem Fußballgott. Es ist einfach fantastisch, dass wir mit diesem neuen Sechzig den Fans den Aufstieg schenken konnten.“

So sah das auch der weißblaue Anhang, der nach dem Schlusspfiff freudetrunken den Rasen des Stadions flutete. Zwei Abwehrketten, bestehend aus orangefarbenen Ordnern und schwarzen Einsatzkräften, trennten den Jubelbereich von der Saarbrücker Trauerzone in der Ostkurve. Aus den Boxen dröhnten sämtliche Löwen-Klassiker, vom 60er-Marsch bis zu „Stark wie noch nie“. Und ein bisschen wirkte es dann auch wie in einem Rockkonzert, als die Mannschaft auf die Plexiglasabdeckung über den Trainerbänken kraxelte – und 5000 Fans davor um die besten Plätze rangelten. Eine fröhlich-friedliche, spontane und ein bisschen verrückte Party. Fans wedelten mit Eckfahnen, Teilen der Tornetze und „Danke Biero“-Schals. Die Spieler tanzten, staunten, bannten die Szenen des Glücks auf Smartphones und grölten: „Nie mehr 4. Liga!“

Selbst ein abgezockter Profi wie Mauersberger schaute dem enthemmten Treiben ungläubig zu und sagte beglückt: „Typisch Sechzig – diesmal nur irgendwie untypisch, weil es ein gutes Ende hatte.“ Nach dem 0:2 durch Sebastian Jacob, der nach einem Freistoßtrick einschoss, hatte nicht jeder im Stadion ein Aufbäumen der Blauen für möglich gehalten. Trainer Daniel Bierofka jedoch fand die richtigen Antworten auf die geballte Wucht von der Saar. Beide Joker, die er reinwarf, stachen. Benjamin Kindsvater holte den Elfmeter raus, den Sascha Mölders cool verwandelte. Seferings traf mit seiner ersten Ballberührung. „Ich kann es noch gar nicht glauben, was wir hier geschafft haben“, gestand der Löwen-Coach, von dem erkennbar Druck abfiel.

Kurz wagte sich Bierofka sogar ins Bad in der Menge, zog sich aber zurück, nachdem er seine Kappe eingebüßt hatte und fürchten musste, wie einst Karsten Wettberg nackt bis auf die Unterhose Interviews geben zu müssen. „Was die Mannschaft in beiden Spielen rausgehauen hat, war sensationell“, sagte er. Und zu seiner Zukunft: „Ich wäre ein Vollidiot, wenn ich diese Mannschaft verlassen würde.“ Der erneut starke Torhüter Marco Hiller schwärmte kurz und prägnant: „Wir sind die Geilsten!“

Ein Verein im siebten Himmel. Erst das Wort „Freibier“ sorgte dafür, dass sich der Rasen nach einer Stunde leerte. Weitergefeiert wurde nach Kräften – wenngleich nicht jeder im allgemeinen Taumel mitbekommen hatte, wo es weiterging mit Friede, Freude und weißblauer Heiterkeit. „Ich werd’ jetzt mal zum Trainingsgelände fahren und schauen, was noch so geht“, meinte Mauersberger. Das Gros der Mannschaft war da bereits ein paar Schritte weiter. Ein Doppeldeckerbus hinter der Stehhalle diente als Feierbühne, bis es dämmrig wurde in Giesing. Nur die Herzen der Fans, in denen blieb es hell – ein Zustand, der wohl auch noch ein paar Tage anhalten dürfte.

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