„Ich will mich mit Mehmet Scholl treffen“

von Redaktion

Nachwuchskrise im deutschen Fußball: Joti Chatzialexiou, Leiter der Nationalmannschaften beim DFB, nimmt Kritik aus München ernst

VON GÜNTER KLEIN

Eppan – Joti Chatzialexiou ist begeistert, von dem was er in Eppan sieht, wenn die A-Nationalmannschaft trainiert und spielt. Die Weltklasse erkennt er in fast jeder Situation, in der es auf dem Feld eng wird. Es sind Könner am Werk, und man findet sie nicht nur in der „Goldenen Generation“ der Spieler um die dreißig, sondern auch bei denen, die sich für die Nachfolge positionieren: Draxler, Goretzka, Süle, Ginter, Werner, Rüdiger. Der deutsche Fußball hat gut gearbeitet in den letzten Jahren.

Doch was kommt danach? Das ist ein großes Thema für den Mann mit dem komplizierten Namen, den nicht so viele Leute kennen, wie es seiner Position entsprechen würde. Joti Chatzialexiou, 42, ist der „Sportliche Leiter Nationalmannschaften“ im DFB. Man hat den Bereich zu Beginn des Jahres geschaffen, er ist vergleichbar mit dem, was in die Zuständigkeiten des Sportdirektors gefallen war. Ein Job, den erst Matthias Sammer und nach ihm Robin Dutt, Hansi Flick und zuletzt Horst Hrubesch besetzt hatten. Allesamt von ihrem Wesen mehr Trainer als Planer. Bei den meisten wirkte es, als sei es nur für den Übergang – bis was Besseres kommt. Das kann bei Joti Chatzialexiou nicht passieren: Er ist Frankfurter, schon ewig beim DFB, nur eben war er lange in der zweiten Reihe gestanden. Oliver Bierhoff hat ihn upgegradet, Chatzialexiou ist auch in Sachen Akademie sein wichtigster Mitarbeiter. Ein Mann mit maximalfreundlicher Aura, manche nennen ihn den „nettesten Menschen beim DFB“. Eine harte Entscheidung musste er aber schon anstoßen: die Trennung von Steffi Jones als Bundestrainerin der Frauen. Gehört zu seiner Zuständigkeit.

„In der U19 erleben wir eine Durststrecke“, sagt Chatzialexiou, auch die U17 ist bei der EM eingebrochen, hat fünf Tore gegen Spanien, drei gegen die Niederlande kassiert. Beim U17-Turnier ist aufgefallen, „dass andere Nationen im Eins-gegen-eins besser sind als wir – offensiv wie defensiv.“ Der Leiter Nationalmannschaften hält sich an die Vorgabe, die einer seiner Vorgänger, Matthias Sammer, im Verband hinterlassen hat: „Die U-Nationalmannnschaften sollten Erfolg haben und Titel gewinnen.“ Davon profitiere das A-Team. „Da sind Spieler mit Titeln und vielen Turnieren“, sagt Joti Chatzialexiou.

Momentan ist England im Nachwuchsfußball das Maß aller Dinge. „Dort wird die Benchmark gesetzt. Die Engländer arbeiten mit ihren Spielern sehr individuell, das muss auch unsere Richtung sein.“ Mit Peter Hyballa hat der DFB einen Trainer in seinen Stab geholt, der für sein Querdenkertum bekannt ist. Selbstreflektion ist wichtig geworden, und auch U20-Trainer Frank Kramer hält sich nicht zurück bei einer kritischen Bestandsaufnahme. In den Nachwuchsleistungszentren, auf die der deutsche Fußball so stolz ist, werde ihm oft zu systemisch gearbeitet. „Wenn einer lausige Laktatwerte hat, lässt man ihn mehr laufen.“ Er findet: „Man sollte ihn mehr kicken lassen.“ Kondition komme von selbsr. Kramer missfällt auch, dass viele Trainer im Nachwuchs schnell in den Erwachsenenbereich vordringen wollen, zu den Profis, sie möchten der nächste Nagelsmann und Tedesco sein. Sie wollen sich empfehlen über den mannschaftlichen Erfolg. Sie spielen auf Ergebnis. Individuelle Schulung bleibt auf der Strecke, die Geduld mit Langsamentwicklern auch.

Das geht in die Richtung, die Mehmet Scholl angesprochen hat. Sein berühmtes Zitat: Die Spieler seien quasi gleichgeschaltet, „sie können mehrere Systeme rückwärts furzen“, aber ihre Gegner nicht mehr ausspielen. „Vom Scholl-Zitat will ich mich distanzieren“, sagt Frank Kramer, da spürt man die Berührungsängste, die im Verband noch herrschen. Joti Charzialexiou ist jedoch einer, der sie abbauen möchte: „Wir sollten um jede Kritik froh sein. Vor allem, wenn wir von jemandem wie Mehmet Scholl Informationen bekommen, müssen wir sie aufnehmen. Ich will mich mit ihm treffen.“

Die Analysen von Kramer/Chatzialexiou auf der einen und Scholl auf der anderen Seite gehen nicht weit auseinander. Nur dass sie beim DFB vielleicht wissenschaftlicher anmutend formuliert werden. „Unter Raum-, Zeit- und Gegnerdruck“, sagt der Leiter Nationalmannschaften, „kriegen wir Probleme“. Er spricht von „Vororientierung“, dazu gibt es mit einer Universität in Norwegen ein Forschungsprojekt, und für die Akademie, die in Frankfurt entstehen wird, hat der DFB einen Psychologen mit Schwerpunkt Kognition eingestellt.

Joti Chatzialexiou, ehemals ein guter Amateurkicker im Frankfurter Raum, hat ein Laptop vor sich liegen. Zugeklappt. „Digitalisierung ist auch ein Thema“, sagt er und blickt auf sein Gerät: „Da sind alle To Do’s drin.“ Das nächste große: Ab dem Achtelfinale Reise zur WM nach Russland. Allen U-Trainer und Ausbilder finden sich zu einer Beobachtergruppe zusammen. Aufgabenstellung: „Herauszufinden: Was sind die neuesten Trends? Wo geht der Fußball hin?“

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