Paris – Es wäre sicher übertrieben zu behaupten, bisher sei für Angelique Kerber alles so schön und luftig wie bei einem Spaziergang im Bois de Boulogne gewesen. Sie hatte reichlich zu tun bei ihren vier Siegen im Stade Roland Garros, aber weil sie so überzeugend spielte wie in Paris seit Jahren nicht mehr, hatte das Ganze eine unverkennbar frische Aura. Zum Sieg gestern gegen Caroline Garcia (6:2, 6:3) brauchte sie nicht viel mehr als eine Stunde, und obwohl ihr die Französin mit vielen Fehlern und großer Nervosität behilflich war, gab es nicht allzu viel, was sie hätte besser machen können. Selbst aus einer Phase leichter Verwirrung kurz vor Schluss befreite sie sich schnell, und den passenden Kommentar gab Trainer Wim Fissette danach ab, der nach dem Matchball auf der Tribüne die Hand zur Faust ballte, ihr zunickte und nur ein einziges Wort sagte: Super.
Irgendwie ist es ja kaum zu glauben, dass Angelique Kerber lange an die These glaubte, das Spiel auf Sand sei einfach nicht ihr Ding. Kann es sein, dass es einfach nur dieser Gedanke war, mit dem sie sich die Sache bisweilen selbst schwer machte? Ja, das sei schon was dran, sie habe sich der Aufgabe früher vielleicht einfach zu oft mit einer negativen Einstellung genähert. Aber zumindest einen konkreten Grund gebe es doch: „Ich fühle mich bei der Beinarbeit auf Sand einfach nicht so wohl.“ Im Gegensatz zu fast allen deutschen Tennisspielern, die auf Sand groß werden, spielte Kerber öfter auf dem Teppichboden der Tennishalle, in der sie mit ihren Eltern im ersten Stock wohnte. Auf Teppichboden rutscht man nicht, auf Sand dagegen schon, und manche schaffen diesen Übergang nie.
Bisher sieht ihre Bilanz bei den anderen drei Grand-Slam-Turnieren besser aus; die Zahl der Niederlagen ist zwar in Melbourne, Wimbledon und New York fast gleich groß, aber dort gewann sie deutlich öfter. In Paris lief es am besten anno 2012, als sie zum bis ins Viertelfinale kam, das war kurz nachdem sie zum ersten Mal unter den Top Ten des Frauentennis gelandet war. Es folgten zwei Jahre mit der Endstation in Runde vier, am Ende der Liste stehen die beiden Niederschläge aus den Jahren 2016 und 2017, als sie jeweils in der ersten Runde verlor. 2016, das war jenes grandiose Jahr, in dem sie zu Beginn völlig überraschend in Melbourne ihren ersten Grand-Slam-Titel gewann, und es danach eine Weile dauerte, bis sie sich an dieses ganz neue Leben im Rampenlicht gewöhnt hatte. Als sie am Ende des Jahres auf die Zeit der French Open zurückblickte, gab sie zu, nach der Niederlage gegen Kiki Bertens aus den Niederlanden habe sie das Turnier aus dem Gedächtnis gestrichen.
Diesmal gewann sie am Anfang fast im Verborgenen auf den hinteren Plätzen im Stade Roland Garros, gegen Garcia spielte sie in der zweitgrößten Arena der Anlage, Court Suzanne Lenglen, und morgen im Viertelfinale gegen Simona Halep wird sie mit einiger Sicherheit auf den Court Central zurückkehren.
Das Spiel der aktuellen Nummer eins gegen die Nummer eins des Jahres 2016 könnte eine sehr spezielle Begegnung werden, ganz sicher dann, wenn die beiden ähnlich gut drauf sind wie bei der letzten gemeinsamen Begegnung Ende Januar bei den Australian Open. Im Halbfinale in Melbourne trieben sie sich zwei Stunden und 20 Minuten lang von einer Situation extremer Spannung in die nächste; den Zuschauern stockte immer wieder der Atem. Am Ende gewann Halep mit dem vierten Matchball 6:3, 4:6, 9:7, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass sie zwei Tage später im Finale gegen Caroline Wozniacki für die Anstrengungen gegen Kerber bezahlen musste.
Halep gewann bisher ebenso souverän wie Kerber, und auch das spricht für eine Fortsetzung des Zweikampfes auf dem Melbourner Niveau. „Das sind die Matches, für die man trainiert“, sagt Angelique Kerber, „solche Spiele möchte man haben.“