Moskau – Eine Mannschaft hat von einem WM-Turnier so ihre Vorstellungen, und wie die der deutschen war, das zeigte Thomas Müller noch einmal auf: „Wir sind von vier K.o.-Spielen ausgegangen.“ Das wären gewesen: Achtel-, Viertel-, Halbfinale, Endspiel.“ Der Anspruch eines Weltmeisters. Doch die Rechnung galt nicht mehr, als die deutschen Spieler aus dem Luschniki-Stadion gingen. „Wir haben jetzt sechs K.o.-Spiele“, sagte Müller, „zwei sind dazugekommen.“ Es gilt jetzt in der Gruppe gegen Schweden, das Italiens Weg zur WM 2018 verbaut hat, und gegen die Südkoreaner, bei denen man schon die Wuseligkeit vor Augen hat, die der deutschen Mannschaft in ihrem derzeitigen Zustand zusetzen könnte. „Das wird“, kündigt Thomas Müller an, „auch für eine harte Nummer. Wir spüren den Druck.“
„Es ist eine ungewohnte Situation, mit null Punkten dazustehen“, führte er aus. Als das zum letzten Mal in der WM-Historie des DFB der Fall war, existierte Thomas Müller noch nicht. 1982 brockte man sich ein 1:2 gegen Algerien ein. Damals hat man sich gefunden und ist bis ins Finale gekommen – Turniermannschaft halt. Das muss sie jetzt wieder werden, es ist die große Herausforderung.
Ein gutes Zeichen ist: Den Spielern kommt die 0:1-Niederlage durch das Tor des fabelhaften Lozano keineswegs unergründlich vor. Die Analyse war klar. Julian Brandt, der 85 Minuten die Gelegenheit hatte, sich ein Bild von außen zu machen, fasste es trefflich zusammen. „Es war das gleiche Spiel wie in Leverkusen. Nur dass wir kein Tor geschossen haben.“ Das letzte Testspiel gegen Saudi-Arabien, das längst vergessen und kein Fallbeispiel mehr sein sollte. Aber man muss es zitieren, weil die gleichen Fehler gemacht wurden. Taktisches Fehlverhalten. „Die einen in der Mannschaft wollen pressen, die anderen sich fallen lassen“, so Brandt. So entstehen Lücken auf dem Feld, Räume für den Gegner. Mexiko nutzte sie für sein Konterspiel.
Timo Werner fiel das von seiner Position aus („Ich bin in vorderster Front das ausführende Organ“) ebenfalls auf. „Bei unseren hohen Angriffen haben wir viele Männer vor dem Ball und zu wenige Männer hinter dem Ball.“ Thomas Müller erläutert: „Das ist die Krux des Ballbesitzfußballs.“ Man mühe sich an einem „Achter-Block“ ab, dann geht irgendwie „im falschen Moment“ der Ball verloren – und die Mexikaner, „klein und leicht“ (DFB-Manager Oliver Bierhoff) rannten los. In der ersten Halbzeit hatten die Deutschen 33 Ballverluste – unfassbar für eine Auswahl, in der Ballsicherheit ein wichtiges Kriterium ist. In der zweiten korrigierte die Mannschaft einiges, ihre Vorstellung war zwingender – doch sie konnte die Versäumnisse nicht mehr wettmachen.
Nach dem „Warnschuss gegen Saudi-Arabien“ (Brandt) hat die DEB-Elf nun „den letzten Warnschuss“ (Werner) erhalten. Am Samstag gegen Schweden erwartet sie ein „Hopp-oder-Top-Spiel“, findet Marco Reus, „da gibt’s kein Vielleicht mehr, wenn wir das verlieren, haben wir im späteren Turnier nichts zu suchen“.
„Wir sind Profis, wir wollen das aufarbeiten“, kündigt Thomas Müller an, der trotz schwacher eigener Leistung natürlich ein Führungsspieler bleibt. Bundestrainer Joachim Löw gibt sich noch gelassen: „In einem Turnier trifft man auf Widerstände. Wir werden nicht auseinanderfallen.“ Oliver Bierhoff möchte inhaltliche Diskussionen anstreben, aber nicht, dass man „singuläre Spieler“ herausgreift (die gepatzt haben: Khedira vor allem und der waghalsige Kimmich).
Löw will weder an einen möglichen Achtelfinalgegner (Brasilien!) denken noch an das Vorrunden-Aus, Schicksal von drei der letzten vier Weltmeister: „Das wird uns nicht passieren.“ Er spricht einen deutschen Kernsatz: „Wir schaffen es.“