Kasan – Nach seinem historischen Tor war Antoine Griezmann sofort ein Fan des Videobeweises – obwohl er gar nicht mit dessen Einsatz gerechnet hatte. „Als der Pfiff ausblieb, hatte ich den Video-Assistenten ganz vergessen“, berichtete Frankreichs Torjäger nach dem mühsamen 2:1-Auftaktsieg gegen Australien schmunzelnd: „Zum Glück war das System da. Es ist eine gute Sache.“
Der 27-Jährige, der mit Atletico Madrid noch nicht mit dem neuen technischen Hilfsmittel in Berührung gekommen war, durfte so doch noch zum Elfmeter antreten und als erster Spieler der WM-Geschichte vom Videobeweis profitieren – vier Minuten, nachdem er zunächst ungestraft gefoult worden war. Schiedsrichter Andres Cunha aus Uruguay hatte erst nach dem Hinweis des argentinischen Video-Assistenten Mauro Vigliano in Moskau und der Ansicht der Zeitlupe am Spielfeldrand seine Entscheidung revidiert.
Die hochgelobten „Baby Bleus“, die jüngste französische Mannschaft in einem WM-Auftaktspiel seit 1930, brauchten nach Griezmanns 1:0 (58.) aber noch ein zweites Mal technische Hilfe von draußen. Nach Paul Pogbas abgefälschtem Schuss prallte der Ball von der Unterkante der Latte auf den Rasen und zurück ins Feld (81.). Die Technik signalisierte dem Schiedsrichter sofort: Tor. Die FIFA entschied später auf Eigentor von Aziz Behich. Der australische Abwehrspieler hatte Pogbas Ball mit seiner Berührung einen unberechenbaren Drall gegeben.
Ein Sieg mit den Hilfsmitteln des 21. Jahrhunderts, wie auch Australiens Coach Bert van Marwijk mit einem freudlosen Lachen zugeben musste. Sein Team hatte das einzige Tor erzielt, das es auch schon bei der WM vor acht Jahren – vor Einführung von GoalControl 2014 in Brasilien – gegeben hätte. Das Handspiel von Samuel Umtiti vor dem Elfmetertreffer von Mile Jedinak (62.) hatte der Schiedsrichter mit bloßem Auge erkannt.
Weder van Marwijk noch seine Spieler konnten sich auf Anhieb mit dem Videobeweis anfreunden – obwohl sie ihn aus ihren heimischen Ligen kennen. Die niederländische Eredivisie und die australische A-League hatten den VAR noch vor der Bundesliga eingeführt. „Wir Spieler können eine Szene auch nicht zurückholen und noch mal spielen“, klagte Torwart Mathew Ryan, in der englischen Premier League noch ohne Video-Erfahrung, „es gibt eine große Grauzone.“
Der Niederländer van Marwijk wünschte sich, „dass es einmal einen ehrlichen Schiedsrichter gibt“. Denn Cunha habe aus voller Überzeugung „sofort entschieden: kein Foul“. Als der Referee die Szene noch einmal aus zwei verschiedenen Kameraperspektiven begutachtete, sei er „sich nicht sicher“ gewesen, meinte van Marwijk „an seiner Körpersprache“ erkannt zu haben.
Frankreichs Trainer Didier Deschamps beschäftigte sich weniger mit dem Videobeweis als mit dem enttäuschenden WM-Auftakt seiner hochbegabten Jungstars. „Unsere Offensive war nicht so gut, wie sie sein sollte“, gab der Weltmeister-Kapitän von 1998 zu, „es war nicht genug Fluss im Spiel, wir waren nicht schnell genug.“
Gerade diese Stärke hatten die kompakt verteidigenden Socceroos dem Multi-Millionen-Angriff mit Griezmann, Kylian Mbappe und Ousmane Dembele geraubt. Vor allem die Jungstars Mbappe (19) und Dembele (21) konnten ihr Tempo nicht ausspielen. „Das müssen wir besser machen“, mahnte Deschamps, „und das können wir auch besser.“
Aber auch Griezmann erntete Kritik. „Er muss mehr machen, aber das ist ihm auch bewusst“, sagte der Coach. Trotzdem bleibe der Europa-League-Sieger von Atlético Madrid „unser Anführer im Angriff“, wie Deschamps betonte. Dass er ihn in der 70. Minute ausgewechselt habe, sei eine „punktuelle Entscheidung“ für dieses Spiel gewesen.