WM-GESPRÄCH MIT . . . OTTI FISCHER

„Dann drücke ich Senegal die Daumen“

von Redaktion

-Herr Fischer, Sie als Fan des TSV 1860 hatten Ihren Fußball-Höhepunkt ja schon vor der WM, oder?

Ja, wir Löwen haben so wenig Höhepunkte, da zählt schon ein kleiner Hügel wie der Aufstieg aus der 4. Liga zum Gipfel der Erreichbarkeit.

-Verfolgen Sie jetzt trotzdem die WM?

Schon, wobei ich mich zunehmend an den DFB-Pokal erinnert fühle. Kleinere Nationen wie Senegal, Nigeria, Ägypten überraschen. Auch sonst ist oft bis zum Schluss alles offen. Das freut natürlich einen Typen wie mich, der viel Empathie für Underdogs aufbringt und immer schon zu den Schwachen und Entrechteten gehalten hat.

-Auch die Auftaktpleite der Deutschen hatte nicht unbedingt jeder erwartet.

Aus meiner Sicht war die Niederlage ein Glück für den Weltmeister. Wenn sie das Spiel noch mit Glück gewonnen hätten, wäre das der Anfang vom Ende gewesen . . .

-Weil dann der Mantel des Schweigens über offensichtliche Probleme gelegt worden wäre?

Ich denke, dann hätte es wie die Ribbecksche EM geendet (2000, als Deutschland sang- und klanglos in der Vorrunde ausschied/d. Red.). Ob jetzt eine Trotzreaktion kommt, weiß ich nicht. Wir wollen es hoffen. Ich denke aber auf jeden Fall, dass es nicht noch mal so einen überheblichen Auftritt geben wird.

-Sind Sie denn auch einer dieser 80 Millionen Bundestrainer, die vor dem Fernseher sitzen und alles besser wissen?

Dazu habe ich leider zu wenig Fußballsachverstand. Ich finde, dazu muss man selber gespielt haben. Ich stand zwar zwei Jahre für meine Schulklasse im Tor – aber nur, weil wegen der hohen Unfall- und Durchfallerquote nur noch elf Leute übrig waren. Als TV-Bundestrainer bin ich leider nicht qualifiziert genug. Für mich ist so eine WM eher ein soziologische Spielwiese.

-Das heißt: Sie lehnen sich zurück und beobachten andere Leuten dabei, wie sie Fußball schauen?

So ungefähr. Es treffen sich alle Gesellschaftsschichten, für die das eine aufreibende Übung ist, gemeinsam für oder gegen eine Mannschaft oder eine Person zu schreien.

-Sie sind also ein Fan dieser Public Viewings?

Für das Schweden-Spiel haben wir auf jeden Fall einen Platz reserviert – in einem Bierzelt in Passau, das extra deswegen aufgestellt wurde. Ich gehe da aber nicht als eingefleischter Deutschland-Fan hin, sondern mit meiner gesunden oppositionellen Einstellung. Bedeutet: Die Mannschaft muss erst mal in Vorleistung treten, damit ich dann in den letzten 20 Minuten, wenn noch nichts entschieden ist, mitfiebere.

-Sie erwarten also, etwas Besonderes geboten zu bekommen?

Eine gewisse spielerische Ausstrahlung ist für mich wichtig, ja. Ich denke auch, dass die beiden Erdogan-Sünder ein Störfaktor sind, der die deutsche Mannschaft daran hindert, gescheit zu spielen. Den einen oder anderen Kollegen stört es sicher, dass die beiden jetzt mehr beachtet werden. Aber jetzt nicht falsch verstehen: Ich bin kein Nationalist, der ein Riesenbekenntnis zu Deutschland verlangt – ich erwarte nur hochwertige Unterhaltung mit einer guten Stimmung.

-Gibt es sonst etwas bei der WM, das Ihnen speziell auffällt oder gefällt? Politisch? Humoristisch?

Bisher ist die WM erfreulich unpolitisch. Ansonsten komme ich wieder zu meinen Kleinen zurück. Mannschaften wie Senegal machen mir Spaß. Für mich gehört das zum Zauber eines Turniers, wenn unbekannte Afrikaner eine besser besetzte Mannschaft wie Polen niederkämpfen. Das hab ich sonst ja nur bei den Löwen, von denen ich in der 3. Liga auch so manches blaue Wunder erwarte.

Interview: Uli Kellner

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