Sotschi – Es war eine ungewöhnliche Woche in der Beziehung zwischen deutschen Fußball-Nationalspielern und ihren journalistischen Begleitern. Hat sie schlechte Kritiken bekommen, ruft die Mannschaft schon mal ein paar Tage Eiszeit aus. Diesmal nicht. Es herrschte Einsicht: Das Spiel gegen Mexiko war verbockt worden. „Es ist der seltene Fall, dass die öffentliche Wahrnehmung übereinstimmt mit der internen“, sagt Mario Gomez. Nur eine Einschränkung wollte er machen: „Was das rein Sachliche, das Sportliche betrifft.“
Wogegen die Mannschaft sich auch in Zeiten, in denen sie wegen schwacher Leistung am Pranger steht, verwahren will: „Dass das Persönliche dazugekommen ist“, so Mario Gomez. „Dass die Mannschaft durch den Kakao gezogen wird, ist nicht in Ordnung“, findet Sami Khedira, der versichert, über ihn selbst könne man „so viel und hart schreiben, wie man will“. Mats Hummels ärgert sich, „dass immer getan wird, als würde ich jemanden beleidigen – auch wenn ich über inhaltliche Dinge spreche“.
Es sind die Ferndiagnosen, die den Spielern in Russland zu schaffen machen. Marco Reus versichert: „Natürlich bekommt man mit, was in Deutschland berichtet und gesprochen wird.“
Die Positionen sind extremer geworden in den vergangenen Jahren. Ein „Ich hatte Angst, Mario liegt sich wund“ (Mehmet Scholl in der ARD über Gomez, EM 2012) hat bei Weitem nicht die fiese Qualität wie Mario Baslers Vollattacke auf Mesut Özil in „Hart aber fair“, einem Format, das mit 90 Prozent seiner regulären Inhalte Basler intellektuell überfordern dürfte. „Mesut Özil hat die Körpersprache eines toten Froschs“, sagte Basler (ein WM-Spiel, null EM-Spiele), dem nach seiner aktiven Zeit weder eine Trainer- noch eine Manager-Karriere gelang.
Auch Lothar Matthäus, der in Russland zumindest hier und da auf einer Ehrengasttribüne gesichtet wird, bildete sich eine Meinung zu Özil: „Fühlt sich im Nationaltrikot nicht wohl.“ Vor drei Wochen hatte sich der Rekordnationalspieler noch lächerlich gemacht mit dem Vorschlag, bei der WM solle Marc-André ter Stegen die Vorrunde bestreiten und ab dem Achtelfinale an Manuel Neuer übergeben, der bis dahin fleißig trainiert – ein Modell fern jeder gelebten Praxis. Was wäre nach dem Spiel gegen Mexiko los gewesen, wie würde ein Experiment wie das von Matthäus vorgeschlagene bewertet?
Stefan Effenberg ist vor allem in der Özil-/Gündogan-Debatte dabei – mit Forderungen nach einem Rauswurf, wie er ihn selbst getroffen hatte, als er bei der WM 1994 im Spiel gegen Südkorea deutschen Fans den Mittelfinger entgegengestreckt hatte. 1998 hatte er seine Nationalmannschaftskarriere nach einem Kurz-Comeback (zwei Spiele bei einem Turnier auf Malta) von sich aus beendet. Das sagt schon alles. Ist er also ein glaubwürdiger Experte für Identifikation?
Das Problem sind die Ehemaligen, die nichts zu verlieren haben. Für Basler, Effenberg nach seinem Trainerfiasko mit Paderborn und Matthäus gibt es im deutschen Fußball nur noch Gelegenheitsjobs als Experten. Sie sind die freien Radikalen. Ihre Meinung muss extrem sein, um einen Markt zu finden. Gefährlich für Löw ist noch Michael Ballack, der mit Kritik an der Nichtnominierung von Leroy Sané schon einmal Anlauf genommen hat.
Sachlich hingegen agiert Torsten Frings – einer aus der Ballack-Fraktion, der mit Löw gerne abrechnen würde. Aber: Er hat noch Ambitionen, sich in Deutschland als Trainer zu etablieren – trotz seiner Entlassungen in Bremen und Darmstadt. „Jogi Löw ist erfahren genug, um zu erkennen, welche Spieler noch nicht in einhundertprozentiger Verfassung sind, und dementsprechend zu wechseln. Ich bin sicher, dass Deutschland als Sieger vom Platz geht“, gibt er sich bei Amazon Music, einem Bundesliga-Medienpartner, recht verständig.
Auf DFB-Seiten wurde entschieden, den Kritikern nicht eine weitere Plattform zu bieten, indem man auf sie konkret eingehen würde. Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff sagte nur kurz: Jeder müsse Kritik annehmen – „sie sollte nur nicht unter die Gürtellinie gehen“. Da pflichtet ihm auch einer bei, der von Beruf Kritiker ist: Oliver Kahn (ZDF). Er mahnte Matthäus und Basler: „Kritik sollte sich nie gegen den Menschen richten, nur gegen die Leistung.“