Es ist nicht immer gut gegangen

von Redaktion

Deutsche Nationalmannschaften sind unter Druck auch schon zerbrochen – doch positive Erlebnisse überwiegen

Sotschi – „Wir haben brutalen Druck“, sagt Thomas Müller. Bei ihm bekommt solch ein Satz Gewicht. Denn er kommt aus einem Druck-Verein, dem FC Bayern, und wirkt eigentlich so, als könne ihm keine Situation was anhaben.

Sami Khedira räumt ebenfalls ein, dass es außerordentlich ist, was die Nationalmannschaft gerade durchlebt. Das ganze Projekt Titelverteidigung sei „von Anfang an unheimlich schwer gewesen“. Im Normalfall ist Deutschland einer von mehreren Favoriten, nun aber „sind wir die Hauptgejagten, jeder will gegen uns besonders gut aussehen“. Aber grundsätzlich könne man Druck parieren, meint Khedira – und verweist auf zwei Beispiele, die er miterlebt hat: die Vorrunden der Weltmeisterschaften 2010 und 14.

WM 2010: Da versiegte der Elan der nach dem kurzfristigen Ausfall ihres Anführers Michael Ballack verjüngten und flugs neu strukturierten Mannschaft nach dem 4:0 gegen Australien schnell. Sie verlor 0:1 gegen Serbien. Weil davon auszugehen war, dass Serbien auch Australien besiegen würde (trat dann aber gar nicht ein), lautete die Aufgabenstellung fürs letzte Gruppenspiel gegen Ghana: gewinnen. Wurde erledigt. Mesut Özil traf zum 1:0-Sieg. Weiter.

WM 2014: „Mit aller Mühe haben wir gegen Ghana im zweiten Spiel noch ein Unentschieden geschafft“, erinnert Khedira sich an das 2:2. Nach zwei Partien ist man trotz vier Punkten und eines 4:0 über Portugal rechnerisch noch nicht durch. Vorsichtshalber sollte man gegen die USA punkten. Es wird ein 1:0-Sieg.

WM 2002: Auch da ging den Deutschen in der Vorrunde die Düse. Das 8:0 gegen Saudi-Arabien relativierte sich durch ein wackliges 1:1 gegen Irland. Gruppenendspiel gegen Kamerun. Und Erleichterung: 2:0-Erfolg nach Platzverweis für Carsten Ramelow, als es noch 0:0 stand.

EM 2008: Auch hier ein Exempel für guten Umgang mit Druck. Nach 2:0 gegen Polen und 1:2 gegen Kroatien bestand die Gefahr, dass man Gastgeber Österreich im direkten Duell an sich vorbeiziehen lassen könnte. 1:0 gewann Deutschland im Praterstadion (Freistoßtor Ballack), ohne zu überzeugen. Joachim Löw war nervös, er fetzte sich mit Österreich-Coach Hickersberger und wurde fürs Viertelfinale gegen Portugal gesperrt.

EM 2012: Schwere Gruppe, alle Nationen in den Top Ten der Weltrangliste. Löws Team besiegt Portugal und die Niederlande, läuft dennoch Gefahr, im letzten Spiel durch eine Niederlage gegen Dänemark einen der beiden ersten Gruppenplätze noch zu verlieren. Die Aufgabe wird mit einem 2:1 (Siegtreffer in der 80. Minute durch Lars Bender) gelöst.

Das deutsche Gedächtnis kann diese Turniere der jüngeren Vergangenheit aufrufen, in denen die DFB-Elf sich in einer heiklen Situation bewiesen hat. Doch es ist nicht immer gut ausgegangen in den Vorrunden.

EM 2000: Der Beginn der bleiernen Zeit. Erich Ribbeck trainierte die deutsche Mannschaft, er war damals ein schon auf Gran Canaria residierender Rentner und hatte sich überreden lassen, Nachfolger von Berti Vogts zu werden. Eine Notlösung. Ribbeck versuchte, bei der EM in den Niederlanden und Belgien die letzten Reste deutscher Fußball-Herrlichkeit zu verwalten. Nach einem 1:1 gegen Rumänien und 0:1 gegen England stand die DFB-Elf nach zwei von drei Vorrundenspielen am Abgrund – hätte sich aber noch ins Viertelfinale retten können. Das Ergebnis im Parallelspiel passte: Rumänien besiegte England. Deutschland hätte Portugal schlagen müssen, das schon durch war. Ribbecks Team wurde auseinandergenommen – trotz alter Schlachtrösser wie Thomas Häßler und Lothar Matthäus, trotz Oliver Kahn – 0:3. Ausgeschieden,

EM 2004: Auch da war alles möglich bis zum letzten Spiel – nach einem Okay-Unentschieden gegen die Holländer und einem Nicht-Okay-Unentschieden gegen Lettland. Ein Sieg gegen Tschechien hätte Gruppenplatz zwei gebracht – doch die Mannschaft vergeigte das Spiel trotz früher Führung durch Michael Ballack mit 1:2. Noch in der Nacht erklärte Teamchef Rudi Völler seinen Rücktritt. Günter Klein

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