Am Ende des spanischen Scheiterns bleibt ein Widerspruch: Was hilft es, den Fußball in 120 Minuten gleich 1137 Mal hin und her zu spitzeln, wenn man letztlich nur einmal ins Tor trifft und für dieses Tor auch noch auf einen Freistoß plus Eigentor angewiesen ist?
Mit der Kunst des Passens beherrschten die Spanier in diesem Jahrhundert den Weltfußball, zwischen 2008 und 2012 gewannen sie jedes große Turnier. Wer sich in dieser Zeit mit ihnen anlegte, kapitulierte irgendwann, weil er den Ball nicht mehr berühren durfte. In Russland aber sind die Spanier nun an ihrer eigenen Spielweise erstickt. Sie passten oft quer, selten vertikal. An den Flecken, wo Torchancen entstehen (Fachbegriff: Zwischenräume), waren sie fast nie. Die Art und Weise, wie die Spanier aus dem Achtelfinale gepurzelt sind, wirft nun mal wieder jene Frage auf, die den modernen Fußballs spaltet: Lohnt es sich denn, den Ball ständig zu haben, oder nicht?
Diejenigen, die den systematischen Ballbesitz ablehnen, führen den Sieg der Russen gegen Spanien nun als Beleg für ihre Skepsis an. Doch als Argument im Kulturkampf taugt der Fall nicht. Die Russen können es halt nicht besser. Es haben sich zuletzt aber viele talentierte Mannschaften hervorgetan, die freiwillig auf den Ball verzichteten. In der Bundesliga – siehe Leipzig, siehe Schalke – ist das gut zu beobachten. Sie entpuppte sich als Liga des Gegenpressings, des Konterns. Nur zwei Teams bemühten sich in der vergangenen Saison wirklich um das Spiel mit dem Ball: die Heynckes-Bayern und Julian Nagelsmanns Hoffenheimer. Der Rest folgte dem Anreiz: Verteidigen ist leichter als angreifen.
Das ist eine fatale Entwicklung. Manche behaupten, sie hat den Deutschen in Russland geschadet. Sie haben sich dem Plan verschrieben, jede Abwehr mit Ballbesitz aushebeln zu können. Nur wissen in ihrer eigenen Liga viele nicht mehr, wie das geht.
In einem Punkt haben die Ballbesitzskeptiker recht: Nur den Ball zu haben bringt nichts. Gleichzeitig übersehen sie aber etwas: Es fehlt der Beleg, dass das Spiel ohne Ball langfristig erfolgreich sein kann. Die großen Dynastien des modernen Fußballs, allen voran der FC Barcelona, haben sich über den Ballbesitz definiert. Bis heute gilt: Wer dauerhaft gewinnen will, braucht den Ball.