Sotschi – Erst weit nach Mitternacht war die uruguayische Reisegruppe komplett. Trödler gibt es immer, aber dieses Mal hatte einer einen guten Grund. Edinson Cavani konnte nicht so schnell, wie er wollte. Die rechte Wade, das Knie, das Schienbein schmerzten, er musste am Samstagabend erst noch die medizinische Abteilung konsultieren, verzichtete deshalb auch auf die Pressekonferenz, die eigentlich obligatorisch gewesen wäre für den als „Man of the Match“ ausgezeichneten Spieler. Trotz seiner Blessur kam der Stürmerstar, der mit zwei wunderschönen Treffern – einem Kopfball nach Traumflanke von Luis Suarez sowie einem wuchtigen Effet-Schuss (6./62.) – Uruguays Sieg gesichert hatte, schließlich sehr aufgeräumt aus der Kabine. Das sollte allerdings keinen Hinweis auf die Schwere seiner Verletzung sein. „Ich habe einen Schlag verspürt, ich hoffe, es ist nichts Ernstes.“
Abgesehen davon gab es für Cavani und seine Mannschaft nur gute Nachrichten. „Es rührt mich zutiefst, was hier passiert ist“, sagte der 31 Jahre alte Stürmer von Paris St. Germain nach dem Einzug der Celeste ins WM-Viertelfinale. „Ich stelle mir gerade vor, was zu Hause in Uruguay los ist.“
Es war ja schon eindrucksvoll, was nach dem 2:1-Sieg gegen Portugal im Stadion und auf der Strandpromenade gegenüber los war. Die Fans feierten noch immer, als Uruguays Mannschaftsbus sich sehr spät auf den Heimweg machte. Und sie feierten vor allem Cavani, der mit seinen beiden Toren nicht nur riesigen Anteil am Erfolg hatte, sondern den großen Superstar Cristiano Ronaldo klar in den Schatten stellte.
Der war lange vor Cavani verschwunden, aber keineswegs den Tränen nahe wie noch vor vier Jahren nach dem Vorrunden-Aus. „Wir verlassen hoch erhobenen Hauptes das Turnier“, sagte der 33-Jährige. „Das Team ist jung und stark und kann auch in Zukunft um Titel spielen.“ Ob er dann noch mithelfen wird, ließ er offen. Das sei nicht „der richtige Moment, um über die Zukunft zu sprechen.“
Zumindest also beim Turnier in Russland kein Ronaldo mehr, und auch kein Messi, aber dafür Cavani. Ob er in die Lücke stoßen kann, die die beiden Superstars hinterlassen, hängt in erster Linie davon ab, ob er im Viertelfinale gegen Frankreich am Freitag überhaupt spielen und dann, ob die Taktik der Südamerikaner wieder greift. Die Uruguayer bekommen es nun zu tun mit „zwei starken Stürmern, die barbarisch schnell sind“, weiß Uruguays Nationaltrainer Oscar Tabarez feststellt hat. „Gegen sie ist sehr schwer zu spielen.“
Dass der Erfolg nicht mit dem kongenialen Sturm-Duo – bei dem Cavani dieses Mal Suarez noch übertrumpfte – allein zu erklären ist, hat Uruguay bereits in den Gruppenspielen gezeigt, aber nun gegen Portugal zum ersten Mal auch gegen eine Mannschaft aus dem Kreis der Mitfavoriten.
Die Celeste lässt kaum Chancen des Gegners zu und kassierte durch Pepe im Achtelfinale erst das erste Gegentor bei dieser Weltmeisterschaft. Die Innverteidigung mit Kapitän Diego Godin und Jose Gimenez von Atletico Madrid sind das Herzstück der kompromisslosen Defensive. Sie verlieren nur selten die Kontrolle und damit die Ordnung. Im Mittelfeld agiert der quirlige Lucas Torreira als ständiger Störenfried für das Aufbauspiel des Gegners.
Von langen Ballstafetten hält die Mannschaft nicht sehr viel, nach Balleroberungen geht es meist zügig nach vorne. Es hieße zwar immer, sagt Trainer Tabarez, „dass es einen Zusammenhang zwischen viel Ballbesitz und vielen Torchancen gibt, aber ich habe in Italien gelernt, dass viel Ballbesitz nicht automatisch zu Toren führt.“ Wie die Partie gegen Portugal bewies, „kannst du dem Gegner auch wehtun, wenn du weniger den Ball hast.“
Vor allem, wenn man einen Spieler wie Edinson Cavani in der Mannschaft hat.