Public Viewing auf Rädern

von Redaktion

An dieser Stelle soll mal ein Partner gewürdigt werden, der in diesen WM-Wochen (zu Unrecht) wenig Beachtung findet: die öffentlichen Verkehrsmittel. Ist doch so, ohne Bus, Tram oder S-Bahn ist der Weg zum gemeinsamen WM-Erlebnis ein beschwerlicher. Aber nun ja, halbwegs regelmäßige Nutzer werden es ahnen – in München ist gerade die Bahn eine Sache mit Tücken. Zweimal habe ich in den vergangenen zwei Turnierwochen den Weg zu einem Vorrunden-Abendspiel gesucht, zweimal bin ich fürchterlich versandet. Das gestörte Stellwerk oder die eher beunruhigende „Person im Gleis“ – es sind Formulierungen, die man in diesen Tagen vor allem so übersetzen könnte: „Junge, das Spiel kannst du getrost vergessen.“ Aber es war ein Zeichen der ersten WM-Hälfte: In Zeiten der Krise rückt auch die genervte Bahngemeinde zusammen. Vor allem Tabletbesitzer gewannen bemerkenswerte Beliebtheit.

Insofern war ich auch am Samstagabend über den Stillstand nur bedingt beunruhigt. „Des dauad locka zwoa Stundn“, hatte der beschäftigungslose Fahrer mit bemerkenswert hämischem Grinsen erklärt. Ich habe mich also auf die Suche nach dem Bahn-WM-Tablet gemacht. Doch . . . dieses Turnier ist seit vergangenem Mittwoch nicht wie vorher. Uruguay gegen Portugal ohne deutsches Team im Wettbewerb ist nicht dasselbe wie mit. Was ich antreffe, ist der Zorn. Oder diese Gruppe junger Frauen, die sich, als der Zug wieder fährt, die besonders tiefsinnigen Gedanken macht („Wann i mi jetza umdrah, nachad is rechts do“). Irgendwann, ich habe die Hoffnung eigentlich schon aufgegeben, finde ich dann doch, was ich gesucht habe. Ein Fluch aus dem vorderen Teil des Zuges, hat meine Aufmerksamkeit geweckt. Er gilt, wie ich beim Näherkommen feststelle, Edison Cavani, der gerade Uruguay in Führung gebracht hat. Die S-Bahn-Fans sind ein Grüppchen aus Portugal.

Die wirkliche Laune, man ahnt es, will beim S-Bahn-Viewing nicht aufkommen. Doch da möchte man ja nicht kleinlich sein, oder? Patrick Reichelt

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