Tennis in Wimbledon

Ein Mann für gewisse Stunden

von Redaktion

Jan-Lennard Struff holte in den ersten zwei Matches 0:2-Satzrückstände auf – zur Belohnung spielt er nun gegen Federer

Von Doris Henkel

Wimbledon – Am liebsten wäre es Jan-Lennard Struff gewesen, wenn er mehr Zeit zum Erholen gehabt hätte nach seinem Einsatz am Abend zuvor, fünf Sätze in fast vier Stunden gegen den baumlangen Ivo Karlovic. Aber ein Tennisturnier wie dieses ist ja kein Kurprogramm, und so musste der Sauerländer gestern schon zum ersten Spiel im Doppel wieder raus. Und siehe da, diesmal ging es ganz schnell in drei Sätzen, und danach konnte er sich mit einer anderen Aufgabe beschäftigen – der Partie heute gegen den nicht ganz unbekannten Titelverteidiger.

Viele Spieler behaupten ja nach der Auslosung gern, sie hätten keine Ahnung von den möglichen Gegnern, doch Struff gehört offenbar nicht dazu. Er sagt, als der Spielplan herausgekommen sei, habe er auf die dritte Runde geschaut und sich die Begegnung mit Roger Federer gewünscht. Viel mehr Arbeit hätte er sich mit der Realisierung dieses Planes allerdings nicht machen können. Im Spiel der ersten Runde gegen den Argentinier Leonardo Mayer lag er mit 0:2 Sätzen zurück und gewann schließlich in ziemlich genau viereinhalb Stunden. Gegen Ivo Karlovic in Runde zwei, den Ältesten (39) und Längsten (2,11) des Turniers, gönnte er sich wieder einen Rückstand von 0:2 Sätzen und war dann am Ende der klar bessere Mann.

Nun gibt es sicher einerseits Gegner, die einen in viereinhalb Stunden auf größere Laufstrecken schicken als der Kroate; Ballwechsel mit Karlovic gegen selten über sieben, acht Schläge hinaus. Aber man muss natürlich damit umgehen können, den kurzen Weg von einer Seite der Grundlinie zur anderen immer wieder nahezu hilflos zurückzulegen, wenn der Herr der Asse nicht zu stoppen ist – 61 Asse schlug er diesmal, fast doppelt so viele wie Struff, dessen 31 ja auch keine schlechte Ausbeute waren. Es war interessant, als er hinterher beschrieb, wie schwer es ist, mit Dingen umzugehen, die man eigentlich weiß. Wie es ist, einen Aufschlag nach dem anderen an sich vorbeirauschen zu sehen. „Am Anfang war ich ein bisschen zu ruhig und hab gesagt: Okay, das ist in Ordnung. Dann hat’s mich aber irgendwann aufgeregt. Und es war gut, dass es mich aufgeregt hat. Man muss es immer weiter versuchen, irgendwann kriegt man die Chance.“

Dieses Vertrauen ins Irgendwann ist eine große Hilfe, aber das gibt es nicht geschenkt; es steckt eine Menge Arbeit dahinter. Die Bilanz seiner Fünfsatzspiele steht jetzt bei 5:5, doch es waren in diesem Jahr vor allem zwei Begegnungen im Doppel, die ihm viel bedeuteten und seinem Selbstbewusstsein gut taten. In der ersten Runde im Davis Cup in Brisbane gewann Struff mit Tim Pütz in fünf Sätzen gegen die Australier, noch bedeutender war der Auftritt zwei Monate später in der Stierkampfarena von Valencia gegen die Spanier Lopez/Lopez. In beiden Partien stand viel auf dem Spiel, und das Gefühl, sich am Ende durchgesetzt zu haben, ist nicht mit Trainingseinheiten zu bezahlen.

Doch nun steuert er mit großen Schritten auf die Begegnung mit Federer zu. „Es wird ein brutal schweres Match“, sagt Struff, „aber ich freu mich mega drauf, wirklich. Und ich denke, dass ich meine Chancen kriegen werde.“ Er nimmt die vorsichtige Zuversicht aus der Begegnung vor ein paar Monaten bei den Australian Open, die er zwar in drei Sätzen verlor, aber zumindest im Tiebreak des dritten Satzes den Eindruck hatte, als sei er auf dem richtigen Weg. Mit dem Plan von Melbourne – aggressiv, offensiv, gelegentlich mit Serve und Volley –, will er es auch diesmal versuchen. Und er scheut sich nicht, daran zu erinnern, Federer habe ja schließlich in Wimbledon auch mal gegen einen Gegner wie Sergej Stachowski verloren – das war in der zweiten Runde der Championships vor fünf Jahren.

Aber noch mehr als auf den gemeinsamen Auftritt mit Meister Federer an sich freut sich Jan-Lennard Struff auf das Erlebnis Centre Court. Bis zum späten Donnerstagnachmittag musste er warten, bis er sicher sein konnte, ob die Partie auf dem berühmtesten aller Tennisplätze angesetzt war. Gegner wie Roger Federer sind also in gewisser Weise Fluch und Segen zugleich. Die Wahrscheinlichkeit, sie zu besiegen, ist nicht besonders groß, aber sie bringen Eintrittskarten zu legendären Arenen mit.

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