Rottach-Egern – Fußballprofi Christoph Kramer, 27, hatte in diesem Sommer einen Ferienjob. Der Mittelfeldspieler von Borussia Mönchengladbach war während der Vorrunde als WM-Experte für das ZDF im Einsatz. Mittlerweile ist der Weltmeister von 2014 zurück auf dem Platz und absolvierte bis Samstag mit Gladbach ein Trainingslager in Rottach-Egern (Kreis Miesbach). Im Interview erklärt Kramer, wie er ZDF-Experte geworden ist, warum er die Nationalmannschaft noch lange nicht abgehakt hat, und weshalb er sich nicht zum Rücktritt von Nationalspieler Mesut Özil äußeren will.
-Herr Kramer, Ihre Sommerpause war heuer recht kurz. Sie waren während der WM-Vorrunde als Experte für das ZDF im Einsatz. Wie kam es dazu?
Jochen Breyer (ZDF-Moderator/Red.) hat mich angerufen, der ist irgendwie auf mich gekommen. Da musste ich dann auch nicht lange überlegen. Ich hätte die WM sowieso geschaut und sowieso darüber geredet. Dann hab’ ich’s jetzt halt vor der Kamera getan.
– Wie hat Ihnen der Job gefallen?
Ich fand es sehr spannend in meiner aktiven Zeit, in der man eh nicht viel Zeit hat, mal was anderes nebenbei zu machen, da mal reinzuschnuppern. Es war sehr, sehr interessant und es hat mich gefreut, dass ich das machen durfte.
-Ein aktiver Spieler als TV-Experte ist ungewöhnlich. Bekamen Sie vorher ein Coaching?
Es wurde mir angeboten, aber ich habe es nicht wahrgenommen. Erstens aus Zeitgründen, und zweitens, weil ich glaube, wenn man in einigermaßen vernünftigen Sätzen sagt, was man ehrlich denkt, kann das schon nicht so verkehrt sein. Das Schlimmste, was passieren hätte können, war, dass ich auf eine Frage sagen muss: „Weiß ich jetzt auch nicht.“ Aber dann ist das halt so. Ich wollte unbefangen und ohne Coaching reingehen.
– Haben Sie sich auf die jeweiligen Spiele gezielt vorbereitet?
Eigentlich nicht. Das war für mich nicht so eine krasse Umstellung. Man bereitet sich so vor, wie wenn Deutschland gegen Südkorea spielt, man die Namen von Südkorea alle weiß und sich kurz anguckt, wie sie ausgesprochen werden. Die hatte ich natürlich nicht drauf. Von Belgien, Frankreich, England oder Peru muss ich mir die nicht angucken.
-Sie sind als Experte extrem gut ankommen. Nicht nur bei den Zuschauern, auch die Kritiker waren voll des Lobes. Wie erklären Sie sich das?
Es ist immer schwer, das zu erklären. Es freut mich einfach, dass es so gut geklappt hat und die Leute es anscheinend alle ganz gut fanden. Warum das so war, weiß ich nicht. Aber es hat mich natürlich gefreut, das zu hören.
– Wäre das auch etwas für die Karriere nach der Karriere?
Bis nach der Karriere ist noch eine lange Zeit (klopft dreimal auf den Tisch/Red.). Ich mach’ mir noch keine Gedanken darüber, was dann passiert. Ich beschäftige mich nur damit, was in meiner Karriere passiert, denn ich bin mittendrin. Man sollte nicht so weit in die Zukunft blicken. Gerade das Fußballgeschäft ist so schnell, und es ändert sich gefühlt alle zwei Wochen. Von daher ist man gut beraten, im Hier und Jetzt zu leben.
-Lassen Sie uns trotzdem kurz in die Vergangenheit gehen. Stimmt es, dass Sie 2014 nach dem Zusammenprall mit den Argentinier Ezeqiuel Garay den Schiedsrichter fragen mussten, ob Sie gerade das WM-Finale-Finale spielen?
Ich kann’s nicht sagen, weil ich’s nicht mehr weiß (grinst). Aber der Schiedsrichter hat keinen Grund zu lügen, deswegen denke ich mal, dass ich ihn gefragt haben müsste.
-Aber an die Siegerehrung können Sie sich wieder erinnern?
Ja, alles wieder auf dem Schirm (grinst).
-Bei der WM 2018 lief es für das deutsche Team bei Weitem nicht so gut. Wie erklären Sie sich das?
Es gibt da nicht einen Grund, es gibt auch nicht zwei Gründe. In so einem Turnier, das so lange geht, und wo die Weltspitze zusammenkommt, gibt es so viele kleine Puzzleteile, die stimmen müssen, damit man riesengroßen Erfolg hat. Wenn man jetzt 2014 nimmt: Gegen Algerien können wir rausfliegen, gegen Frankreich war’s ein 50:50-Spiel, gegen Argentinien dürfen wir eigentlich nie gewinnen. In der Gruppe haben wir 2:2 gegen Ghana gespielt, gegen die USA – in dieser Regenschlacht – gab’s ein 1:0, das nicht souverän war. Das will immer keiner hören. Aber zu so einem Turnierverlauf gehört es auch, zur richtigen Zeit den Punch zu haben.
-Der hat diesmal gefehlt.
Hätte Mats Hummels in der 86. Minute gegen Südkorea den Kopfball reingemacht, läuft das alles anders. Das ist immer viel hätte, wenn und aber. Generell fand ich, dass die deutsche Mannschaft nicht so souverän oder nicht mit diesem krassen Selbstverständnis agiert hat, wie sie es in der Quali noch getan hat. Aber das hat nicht irgendeinen Grund. Das ist manchmal auch einfach Tagesform, Glück oder Pech. Auf dem Niveau, auf dem wir uns bei einer Weltmeisterschaft bewegen, ist es nicht leicht, den einen Grund zu finden.
-Tun Sie sich als aktiver Spieler leichter, mal über Fehler hinwegzusehen?
Jeder, der mal Fußball gespielt hat, weiß, dass man sich jedes Spiel neu erarbeiten muss. Man ist nur so gut, wie man gerade in diesem Spiel performt. Im Fußball geht das unheimlich schnell, man muss es immer wieder von Neuem abrufen. Das ist aber auch das Schöne am Fußball, dass er unberechenbar ist, weil einfach so viele Faktoren zusammenkommen. Aber klar hat man als aktiver Spieler auch irgendwo Verständnis für gewisse Situationen.
„Deutschland verliert mit Özil einen sehr spielschlauen Spieler“
– Nach dem frühen WM-Aus kam der eigentliche Knall erst jetzt mit dem Rücktritt von Mesut Özil, mit dem Sie 2014 Weltmeister geworden sind. Wie beurteilen Sie die Situation?
Ich finde es schwer, darüber zu urteilen, wenn man nicht selber drin steckt. Rein sportlich gesehen verliert Deutschland einen sehr spielschlauen Spieler, der sich echt gut in den Räumen bewegt hat. Wie es jetzt so zum Ende gekommen ist, war natürlich für alle Seiten sehr unglücklich. Es ist einfach schade.
-Eine gute Figur gab und gibt der DFB dabei dennoch nicht ab.
Bei dieser ganzen Geschichte kann es keinen Gewinner geben. Was schade ist. Wenn Fußball, Politik und Religion vermischt werden, ist das einfach eine schwere Angelegenheit. Und da diesen schmalen Grat zu finden, ist fast nicht möglich. Es war einfach ein unglückliches Ende für viele Parteien.
-Warum gibt es von den aktiven Nationalspielern so gut wie keine Rückendeckung für Özil?
Ich möchte mich da eigentlich auch raushalten. Zu dieser Affäre haben schon so viele was gesagt, und alles, was jemand sagt, hat irgendwie einen faden Beigeschmack.
-Dann zurück zu Ihnen: Ist für Sie die Nationalmannschaft noch ein Thema?
Auf jeden Fall. Wie ich eben schon gesagt habe, im Fußball geht’s so unfassbar schnell, da kann sich von heute auf morgen alles ändern. Von daher ist die Nationalmannschaft natürlich immer noch irgendwo im Hinterkopf. Aber aktuell zählt für mich der Verein Borussia Mönchengladbach, und da bin ich mit vollem Engagement, Kopf und Herz dabei.
-Was ist in dieser Saison für Borussia Mönchengladbach drin?
Ich habe Ende letzter Saison gesagt, dass ich keine Ziele und Prognosen mehr sagen will und werde. Die Liga ist so umkämpft, das hat auch immer viel mit Glück und Pech zu tun. Ich finde, wenn man sich irgendwas vornimmt oder irgendein Ziel ausgibt, dann wird man immer so ein bisschen daran gemessen, und fängt schon nach dem ersten Spieltag an zu rechnen. Am 33. Spieltag guck’ ich auch mal auf die Tabelle. Aber sonst würde ich mich freuen, wenn wir uns alle von Spiel zu Spiel darauf konzentrieren, dass wir unsere Punkte einfahren.
– Haben Sie sich persönlich etwas für die neue Saison vorgenommen?
Ich habe mir während meiner ganzen Karriere nie Ziele gesetzt. Ich halte es auch nicht für richtig, sich Ziele zu setzen. Stattdessen muss man immer das Beste aus allem herauszuholen, was viel Arbeit, was viel Fleiß erfordert. Das klingt so banal, aber das Schwerste, was du machen kannst, ist, dich jeden Tag verbessern zu wollen und alles zu geben. Das ist ganz, ganz schwere Arbeit. Ich glaube, dass ich das ganz, ganz häufig schaffe. Daran will ich weiter festhalten, weil das bisher gut geklappt hat. Und gewisse Rituale sollte man auch nicht umstoßen.
Das Gespräch führte Julia Pawlovsky