Der Leidensweg zur Abschiedsparty

von Redaktion

Ein Jahr lang begleitete ein Filmteam Diskus-Star Robert Harting – mit „Sechsviertel“ gelang ein eindrucksvolles Porträt

Von Nikolaj Stobbe

Berlin – Robert Harting liegt mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Krankenbett und schreit immer wieder „Fuck“. Dr. Karsten Labs spritzt dem Diskus-Hünen ins lädierte Knie. Harting lässt auch diese Tortur über sich ergehen, um auf seiner Abschiedstournee bei der EM in Berlin (6. bis 12. August) dabei sein zu können, wie die ARD-Dokumentation „Sechsviertel“ am Samstag zeigte.

50 Tage vor der EM ist Harting immer noch deprimiert. Nach dem Riss der Quadrizepssehne im Frühjahr fehlt dem ehemaligen Welt- und Europameister die EM-Norm. Er kann beim Autofahren vor Schmerzen das Gaspedal nicht durchdrücken. „Zum Aufhören reicht es aber nicht“, sagt der 2,01-m-Hüne in dem Film mit dem Untertitel „Die Geschichte meines Ausstiegs aus dem Spitzensport“.

Mittlerweile hat der Olympiasieger sein EM-Ticket gelöst. Platz drei bei der DM vor einer Woche in Nürnberg reichte. Nun steht dem rauschenden Abschiedsfest bei EM und ISTAF (2. September) in seinem Wohnzimmer Olympiastadion nichts mehr im Wege. Harting beschäftigt das Thema Abschied in allen Facetten, deshalb gewährte er seltene Einblicke in sein Privatleben.

Der 33-Jährige ist als Student an der Uni zu sehen, wie er seine Kommilitonen um ihr Wissen beneidet. Er wird dabei gefilmt, wie er nachts in Berlin Ankündigungsplakate von den Zäunen reißt, um daraus Kunstwerke zu machen. „Ich habe Lust auf was Neues“, ruft Harting in „Sechsviertel“. Der Titel erinnert an die Abschnitte, in die sich die Drehungen eines Diskuswerfers im Ring aufteilen lassen.

Sehenswert sind auch die Bilder von seinem Besuch in Cottbus, wo Harting im Ghetto aufwuchs. Raue Zeiten mit prägenden Erfahrungen. Jugendliche schütteten ihm den Inhalt einer Bierdose über den Kopf. Harting schämte sich. „Ich habe krampfhaft überlegt, wie kriegst du das gedreht, wie kannst du deine Position verbessern“, berichtet er und fand im Sport wohl ein Mittel, sein Selbstwertgefühl zu steigern.

Natürlich wird auch das Nicht-Verhältnis zu Bruder und Konkurrent Christoph thematisiert, der ihm mit Gold bei Olympia 2016 ein wenig die Show gestohlen hat. Robert läuft durch die Straßen Berlins, an der Mauer entlang mit dem Bild vom Bruderkuss zwischen dem früheren Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und Sowjet-Führer Leonid Breschnew. „Früher habe ich mich mit meinem Bruder auch noch geküsst. Jetzt will er es bestimmt nicht mehr. Ich auch nicht“, sagt der ältere Harting.

Harting lässt das Filmteam auch in seine Wohnung in Berlin, ein umgebautes Loft, als er mit seiner Frau, Diskuswerferin Julia, beim Essen sitzt. Beide kennen sich aus dem Training schon seit Jahren. Er sei früher ein Rowdy gewesen, wie ihre Oma sagen würde, berichtet Julia, nicht der nette Junge von nebenan. Robert schmunzelt. Dann sind auch Bilder von der Hochzeit zu sehen, Julia ganz in Weiß, der Rowdy ganz zahm.

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