Kaiserslautern – Jan-Ole Sievers wusste, dass es zu spät war. Er stützte sich mit einem Arm auf den Boden, drehte sich um – und blickte hilflos dem Ball hinterher, der auf die Torlinie zuhoppelte. Neben ihm schaute noch einer zu: Adriano Grimaldi, Stürmer des TSV 1860. Er hatte den Ball zuletzt berührt, nicht mit Wucht, aber doch stark genug, um ihn an Sievers, dem Torhüter des 1. FC Kaiserslautern, vorbei zu mogeln.
Grimaldi und Sievers sahen dann gemeinsam zu, wie der Ball gegen den Innenpfosten hopste. Später sagte Grimaldis Sturmpartner Sascha Mölders: „Wenn wir da in Führung gehen, dann gewinnen wir.“ Nur war der Ball eben nicht drin. Und sein Team hatte auch nicht gewonnen, sondern verloren, 0:1. Aber so ist das halt in der 3. Liga.
Die Fußballer des TSV 1860 haben gleich im ersten Spiel erfahren, wie Charme und Tücke sich in der neuen Liga verflechten. Sie durften den Betzenberg in Kaiserslautern besteigen, einen Kultort der deutschen Fußballgeschichte, wo sich an diesem Samstag 41 324 Fußballfans im Fritz-Walter-Stadion versammelt hatten. Sie stellten sich dort auch geschickt an gegen den Zweitliga-Absteiger, in der neunten Minute traf Adriano Grimaldi sogar den Pfosten. Sie vertändelten dann aber dummerweise vier Minuten vor dem Ende den Ball. Kaiserslauterns Timmy Thiele dribbelte in den Strafraum und legte zurück, Janek Sternberg zielte genau. Das war’s: 1:0, Spiel vorbei. Also musste Mölders in den Konjunktiv wechseln: „Ein 0:0 wäre gerecht gewesen.“
Im Fußball versteckt sich hinter der fehlenden Gerechtigkeit aber meistens eine taktische Erklärung. Und schon in der spontanen Fehleranalyse in der Mixed Zone ahnten die Profis aus Giesing, warum ihnen der Punkt entflutscht war. Sie wussten mit dem Ball zu wenig anzufangen.
Wenn sie versuchten, einen Angriff aus der eigenen Hälfte einzuleiten, waren die Pässe und Laufwege oft zu ungenau. Kapitän Felix Weber forderte daher, künftig „den Ballbesitz ruhiger zu Ende zu spielen“. Auf dem Betzenberg fiel das den Löwen schwer, weil schon ihre Innenverteidiger aggressiv angelaufen wurden. Die Not verschärfte sich in der zweiten Halbzeit. „Wir hatten keine Entlastung mehr“, sagte Trainer Daniel Bierofka. „Wir konnten die Bälle vorne nicht mehr festmachen und haben sie im Mittelfeld zu schnell verloren.“
Man könnte die Mängelliste ergänzen: Die Abwehr lief den schnellen Stürmern aus Kaiserslautern immer wieder hinterher, die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen waren zu groß. Als Bierofka zur Halbzeit den erfahrenen Innenverteidiger Jan Mauersberger auswechseln musste (Rücken), büßte er die Lufthoheit ein.
Man sollte dann aber auch an Folgendes erinnern: Bierofka setzte viele Spieler ein, die vor ein paar Monaten noch durch Bayerns Dörfer tingelten. Der junge Außenverteidiger Herbert Paul etwa spielte das erste Mal in der 3. Liga – vor mehr als 40.000 Zuschauern. Kaiserslautern ist eben nicht Pipinsried.
Das hat auch Daniel Bierofka gemerkt. Die Lautstärke beeinflusste seine Kommandos. „Den Spieler auf der anderen Seite erreichst du gar nicht mehr“, sagte er. Eigentlich sollte ihn das aber freuen. Er darf sich endlich wieder auf einer großen Bühne beweisen.
Das gilt freilich für den ganzen Verein – und vor allem für seine Fans. Sie mussten sich am Samstag furchtbar früh am Bahnhof treffen, in der Regionalliga durften sie meistens etwas länger schlummern. In Kaiserslautern, dieser fußballverrückten Stadt, feierten sie ein großes Fest, im WM-Stadion brüllten sie tapfer gegen eine rote Wand an. Als das Tor fiel, verstummten sie, feierten dann aber weiter.
Und auf der Heimreise waren sie sich ziemlich sicher, dass ihr Glück in dieser Saison nicht davon abhängt, ob ein Ball im ersten Spiel an den Pfosten und nicht ins Tor gehüpft ist.