Woher nun diese Angst? Deutschland hat noch Talente, gehen Sie nur mal raus am Wochenende auf die Fußballplätze der Nation, Sie werden wunderbare Kicker sehen, kleine Buben, die mit dem Ball alles können, tolle Tricks beherrschen, sogar taktisch schon weit mehr drauf haben als Sie einst als junger Erwachsener. Und wenn wir ihnen nun noch beibringen, wie man mit reichlich Hingabe und Leidenschaft die Nationalhymne trällert, sollte uns wirklich nicht bange sein um die Zukunft der deutschen Nationalelf.
Oder doch? Neulich, beim Trainerkongress in Dresden, hat Stefan Kuntz eine Lücke ausgemacht, bei den 15-, 16-, 17-, 18-Jährigen, da sehe er weniger Toptalente. Kuntz hat die deutsche U21 vor einem Jahr zum EM-Titel geführt, kurzfristig sei also Nachschub da. Aber dann? Sind unsere hochgelobten Nachwuchsleistungszentren gar nicht (oder nicht mehr) so toll wie wir spätestens nach dem WM-Triumph 2014 glaubten? Ist es wirklich zielführend, Talente immer früher aus ihrem sozialen Umfeld zu reißen, um ihnen kurz nach der Muttermilch Verschieben und Gegenpressing, das Zustellen von Räumen und das Spiel mit der flachen Sechs einzutrichtern?
Nun hat die letzte WM dummerweise so manche Wertigkeit verschoben, gegen feinen Ballbesitzfußball hat sich Mentalität durchgesetzt. Und gerade da sieht Kuntz bei uns Defizite, sagt, den Jungs werde heute unwahrscheinlich viel abgenommen, sie müssten Konflikte nicht mehr selber regeln und wer in einem Verein nicht mehr klarkommt, nimmt halt den nächsten. Jeder 15-Jährige in einem Bundesligaclub hat seinen Berater, der eingreift, wenn der Trainer mal böse war oder der Lehrer den kommenden Fußball-Star behandelt wie einen x-beliebigen Schüler. Geht gar nicht!
Schöne neue Zeit. Das weckt Sehnsüchte, nach dem Straßenfußball, der noch Typen hervorbrachte, die wir aktuell so sehr vermissen. Dabei ist das, als würde man vom Laptop zur mechanischen Schreibmaschine zurückkehren. Selbst wenn es wieder Wiesen gäbe, auf denen bis Sonnenuntergang gebolzt werden darf, es käme wohl keiner mehr, gespielt wird weniger schweißtreibend mit den Fingern auf dem Smartphone. Und wer noch immer glaubt, das sei kein Sport, der soll nur mal reinhören in die großen Sportverbände, die Pläne, eSport als Disziplin aufzunehmen oder gar olympisch werden zu lassen, liegen auf den Tischen.
Immerhin hat man manche Elemente aus dem Straßenfußball in die Vereine gebracht, in der F-Jugend sollen die Kids Meinungsverschiedenheiten untereinander klären, es gibt keine Schiedsrichter mehr und auch die Trainer sollen nur eingreifen, wenn arge Keilereien zu befürchten sind. Es werden neue Spielformen getestet wie Funino, Kinder werden wieder ermutigt, den Zweikampf zu suchen, sich durchzusetzen, auch mal auf eigene Faust. Das Dribbling wird wieder gefördert, zumindest im untersten Bereich, die Spielfreude. Irgendwann aber scheint diese Lust verloren zu gehen. Vielleicht, weil es einfach zu viel wird, weil Talente, die früh in die Leistungszentren geholt werden, fast schon täglich trainieren, äußerste Disziplin zu üben haben, von einem großen Turnier zum nächsten düsen, fast ohne Pause?
Oder sind es die Erwartungen aus dem Umfeld? Verein, Trainer, Berater, alle üben Druck aus, dazu kommen Schule und Eltern, die früh vom großen Geld träumen. Wer mal rausgeht auf die Plätze, der sieht sie nach dem Spiel, Väter, die voller Stolz ihrem kleinen Star die Sporttasche tragen, man darf ihn bloß nicht überstrapazieren. Und wer ganz genau hinschaut, der glaubt, in ihren Augen die Euro-Zeichen erkennen zu können. Der Kuntz hat wohl recht, den Jungs wird viel zu viel abgenommen, beginnend mit der Sporttasche. So wird das nichts mit der Mentalität.
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