Ciao Bello!

von Redaktion

Italien startet heute voller Vorfreude auf Cristiano Ronaldo in die Saison – und Spanien nicht minder froh in die Zukunft

VON ANDREAS WERNER

München – Beim FC Bayern ist Cristiano Ronaldo keine Sekunde ein Thema gewesen. Man wusste früh, dass er Real Madrid verlassen würde, aber hinter den Kulissen an der Säbener Straße wurde nicht einmal ganz heimlich eine kleine Machbarkeitsstudie erwogen, heißt es aus der Führungsetage. Dafür, dass sich Juventus Turin den fünfmaligen Weltfußballer geschnappt hat, zollen die Bayern ehrlichen Respekt, ganz ohne Neid. Netter Marketinggag, der den ramponierten italienischen Fußball sicherlich aufwertet, lautet die Meinung. Die Dimensionen dieses Transfers wären in München aber nie vermittelbar gewesen. Und: Man wollte es ja auch gar nicht.

In Italien ist die Vorfreude auf die heute startende Saison ungeachtet dessen groß wie lange nicht mehr. Wegen CR7 natürlich, nur wegen ihm. Am Montag erschien die „Gazzetta dello Sport“ auf ihrer Titelzeile mit einem Wortspiel, das in seinen großen Lettern für jedermann ganz leicht zu entschlüsseln war, selbst wenn man des Italienischen nicht mächtig ist: „ChristiAMO“.

Kurios ist: Während man sich in München in der Rolle des unbeteiligten Zuschauers gefällt und es jenseits der Alpen quer durch die Republik „Ciao Bello“ heißt, startet die spanische Liga auch freudig in die neue Saison. Nach seinem Abschied zu Juve hatte der Portugiese bereits gemutmaßt, er glaube nicht, dass ihm viele Leute nachweinen würden. Bisher scheint er damit Recht zu behalten. Die Vorfreude der Spanier steht der der Italiener kaum in was nach. Der Blick richtet sich nach vorne – und eine Zukunft ohne den 33-Jährigen ist nicht unbedingt schlecht. Zumindest schöpfen die Vereine in Lauerstellung, nicht zuletzt bestärkt durch das 4:2 von Atletico Madrid über Real im europäischen Supercup, wieder mehr Hoffnung, denn auch beim FC Barcelona ist ein Umbruch im Gange; nach Xavi hat sich Andres Iniesta in exotische Gefilde verabschiedet. Neymar kickt wie Kylian Mbappé bei Paris St. Germain, Harry Kane oder Mohamed Salah blieben in England – die großen Namen haben sich neu verteilt auf Europas Landkarte. Das ist nicht uninteressant.

Gelassenheit in der nördlichsten Stadt von Italien

Überraschend war, wie defensiv Real bisher den Verlust des Mega-Stars moderierte. Die Schatulle wurde zwar geöffnet, um stattliche 100 Millionen Euro zu entfernen, jedoch ist das Investment keine Offensivkraft, sondern der belgische Torhüter Thibaut Courtois. Der neue Coach Julen Lopetegui, der sich unmittelbar vor dem WM-Start als Spaniens Nationaltrainer aus dem Staub gemacht hatte, um sich Real zu verschreiben, hat einen Matchplan ersonnen, der die vermeintliche Schwächung nach Cristiano Ronaldos Abschied in eine Stärke umwandeln soll. Statt Tempodribblings sind nun Ballstafetten gefragt, und vorn im Angriff sollen die spielerisch starken Marco Asensio, Karim Benzema und Gareth Bale Kapital aus dem Ballbesitz schlagen. Ob der Stilwechsel klappt, wird spannend.

In Italien hingegen scheinen kaum Fragen offen. Die siebte Meisterschaft der Turiner müsste mit Ronaldo reine Formsache sein, auch wenn sich die Mailänder Clubs aufraffen, ihre Phase in der Bedeutungslosigkeit zu beenden. Inter versucht es mit einem neuen Korsett auf dem Platz, hat aber in den beiden WM-Verpassern Raja Nainggolan (Belgien) und Stefan de Vrij (Niederlande) eher Hinterbänkler in der Eliteklasse für sich begeistern können. Bei Milan lesen sich die neuen Namen hingegen prominenter: Im Sturm wurde Gonzalo Higuain ausgeliehen, der Argentinier floh wegen Cristiano Ronaldo aus Turin. Auf lange Sicht sollen die ehemaligen Weltstars Paolo Maldini und Kaka die guten alten Zeiten wieder neu beleben, sie wurden in der Führungsetage als Impulsgeber installiert.

Bis es soweit ist, werden sie in Turin kaum in Angstschweiß ausbrechen, zumal auch die zuletzt ärgsten Konkurrenten SSC Neapel und AS Rom nicht gerade optimal durch den Sommer gekommen sind. Die Neapolitaner, letzte Saison Vizemeister, haben sich Carlo Ancelotti anvertraut, und der frühere Trainer des FC Bayern muss seitdem erleben, dass sein Ruf nach dem missratenen Gastspiel in München gelitten hat. Unter Maurizio Sarri, der zu Chelsea ging, spielte Neapel begeisternden Fußball. Ancelotti, 59, ist hingegen einer der alten Schule. Die Generalprobe ging letzte Woche gründlich schief: Nach einem 1:3 gegen Wolfsburg herrscht am Vesuv dicke Luft. In Rom ist die Lage nicht weniger explosiv; die Fans sind sauer, da Torwart Allison Becker nach Liverpool verhökert wurde. Ohne ihn sinken die Chancen, Turin zu attackieren.

Ronaldo sollte also leichtes Spiel haben. Als er beim Test gegen Juves B-Mannschaft im beschaulichen Dörfchen Villar Perosa letzte Woche sein erstes Tor für die Turiner erzielte, deuteten die Tifosi die Begleitumstände des Treffers als letztes Signal einer göttlichen Fügung: Ronaldo hatte in der siebten Minute getroffen – passend zu seiner Rückkennummer. Bereits zu seinen Zeiten bei Real nannten sie ihn in Italien den „Außerirdischen“, entsprechend ehrfürchtig wartet nun ein ganzes Land auf das Serie-A-Debüt am Samstag gegen Chievo Verona. In München hingegen bleibt man völlig gelassen. Obwohl die Isarmetropole bekanntlich als nördlichste Stadt Italiens firmiert.

Artikel 1 von 11