Hoffen auf den Heilsbringer

von Redaktion

Trotz Kritik am Spielstil herrscht auf Schalke Euphorie – weil Domenico Tedesco Spieler und Fans mit seiner Art einfängt

Von Jens Greinke

Gelsenkirchen – Wird Domenico Tedesco völlig wertungsfrei danach fragt, ob Schalke in der kommenden Saison einen anderen Fußball spielen wird, merkt der Fragesteller, dass er ein recht spezielles Thema angeschnitten hat. Der Schalker Cheftrainer spricht dann davon, dass seine Mannschaft in der vergangenen Saison die „dritthöchste Verteidigungslinie“ aller Mannschaften gehabt hätte. Und auch in Sachen erzielter Tore weit vorne gelegen habe.

Es ist zu spüren, dass der 32-Jährige die Kritik, die an der Spielweise der Schalker immer wieder aufgekommen ist, nicht so recht nachvollziehen kann. Allerdings hat sich Tedesco zumindest nach außen hin eine gewisse Beschichtung angelegt. Er versucht, diese Einwände so gut es geht an sich abperlen zu lassen. Hilfreich ist ihm dabei nicht nur die umfangreichen Statistik, die mittlerweile in der Bundesliga erhoben wird, sondern vor allem der Erfolg. Der zweite Platz, von den Fans euphorisch als „Vize-Meisterschaft“ gefeiert, hat Tedesco nach seiner ersten Spielzeit in den Rang eines Heilsbringers erhoben. Zumal er vor wenigen Tagen bei der Trainerwahl des Jahres nur knapp von Ex-Bayern-Coach Jupp Heynckes geschlagen wurde.

Der 32-Jährige hat nicht nur den sportlichen Erfolg zurückgebracht. Er ist auch sehr nahbar, verbindlich und freundlich. Die Schalker Anhänger sind froh, dass sie einen Trainer wie ihn haben. Einen, auf den andere große Clubs schon ein Auge geworfen haben dürften. Als Tedesco nun vorzeitig seinen Vertrag bis 2022 verlängerte – und zwar ohne Ausstiegsklausel –, hat das viele Fans einigermaßen beruhigt. Und auch stolz gemacht.

Hoch angerechnet wird Tedesco, dass er eine ehrliche Haut ist. In den Personalien Benedikt Höwedes und Johannes Geis hat er stets „mit offenen Karten“ gespielt, wie er es selbst ausdrückt. Während Höwedes mittlerweile bei Lok Moskau untergekommen ist, sucht Geis weiter seine Chance. „Johannes ist ein feiner Kerl“, sagt Tedesco, „aber es wird schwer für ihn. Diese Aussage bin ich ihm einfach schuldig.“

Auch Sportvorstand Christian Heidel schätzt die Geradlinigkeit des Trainers: „Domenico ist da knallhart. Er verspricht den Spielern bei Transfergesprächen nicht, dass sie 34 Mal zum Einsatz kommen. Er sagt ihnen: Ich traue dir schon zehn bis zwölf Spiele zu.“ Dass für Geis wahrscheinlich kein Platz mehr in der Stammelf sein wird, liegt auch an den Neuzugängen, die der Verein in diesem Sommer geholt hat. Omar Mascarell und Suat Serdar können auf der Sechser-Position spielen, hinzu kommen Benjamin Stambouli, Nabil Bentaleb oder auch Alessandro Schöpf. Trotzdem kann sich Geis sicher sein, von Tedesco weiter anständig behandelt zu werden, falls er seinen bis 2019 laufenden Vertrag auf Schalke erfüllen möchte. Auch, wenn seine Chancen auf Einsätze wahrscheinlich verschwindend gering sein werden.

In diesem Sommer kann Tedesco sozusagen mit einem „langen Anlauf“ in die Saison starten, nachdem er ein Jahr zuvor ein stark verunsichertes Team von seinem glücklosen Vorgänger Markus Weinzierl übernommen und nur wenig Zeit für eine strukturierte Vorbereitung hatte. Die Neuzugänge hat er dieses mal selbst mit ausgesucht. Zwar habe man hier auch den ein oder anderen Kompromiss zwischen Trainer und Heidel machen müssen. „Aber wir haben sehr, sehr gute Kompromisse gefunden“, sagt Tedesco. Dazu gehört auch der wirtschaftlich geradezu zwingende Verkauf von Verteidiger Thilo Kehrer nach Paris St. Germain, was den Schalkern gut 37 Millionen Euro in die Kasse spülte.

Die neuen Spieler seien bereits gut integriert. „Es passt“, wie es Tedesco kurz und bündig ausdrückt. Dass die meisten Neuzugänge wie Mark Uth, Suat Serdar oder Salif Sané den Schalker Cheftrainer als ausschlaggebenden Grund für ihren Wechsel zu Schalke angeben, verwundert nicht. Tedesco gilt in dieser Beziehung als eine Art Menschenfänger, weil er auch hier vor allem eins beherzigt. „Es ist wichtig, immer fair und ehrlich zu sein. Wir versuchen nicht, das Blaue vom Himmel herunter zu versprechen“, so Tedesco. So lockte er auch den marokkanischen Nationalspieler Hamza Mendyl nach Gelsenkirchen.

Und das Schalker Spiel in der kommenden Saison? „Unserer DNA wird die gleiche bleiben“, sagt Tedesco. Zu ihr gehörten „frühes Anlaufen, den Gegner stressen ebenso wie Arbeit, Leidenschaft und eine gute Defensive“. Allerdings werde man das Positionsspiel weiter verbessern. „Aber das ist ein längerer Prozess“, sagt Tedesco. So lange der sportliche Erfolg bleibt, dürfte diese fußballerische DNA dem Trainer zumindest beim eigenen Anhang nicht zum Nachteil gereichen.

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