München – Clemens Wickler merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Ein paar Meter neben ihm war Julius Thole, sein Teampartner, im Sand zusammengezuckt. Und weil in der Bachvolleyballarena in Hamburg viele Wespen schwirrten, ahnte Wickler, was passiert war: ein Wespenstich, im bisher größten Spiel ihres Lebens.
Die Geschichte des Wespenstichs fing mit einer Wildcard an. Eine deutsche Männermannschaft hatte sich für das Finalturnier der Beachvolleyball World Tour nicht qualifiziert, also durften die Hamburger Ausrichter einen Startplatz vergeben. Sie entschieden sich für Wickler, 23, und Thole, 21, einen Starnberger und einen Hamburger, die in ihrem ersten Jahr mehr Punkt als die anderen deutschen Duos gesammelt hatten – und sich dann auch im Vergleich mit der Elite sehr gut anstellten. Sie spielten sich in Hamburg bis ins Halbfinale vor, wo sie am vergangenen Samstag vor 8000 Zuschauern die Weltranglistenersten aus Norwegen, Anders Mol und Christian Sörum, herausforderten, sogar einen dritten Entscheidungssatz erzwangen. Dann stach die Wespe zu.
Auf den Zwischenfall wollte Wickler die Niederlage hinterher nicht schieben. Das Tier hatte Thole zwar am Unterarm erwischt, was das Beachvolleyballen nicht gerade einfacher macht, aber „er hatte so viel Adrenalin im Körper“, sagte Wickler, „er hat das nicht wirklich gemerkt.“ Vielmehr hatten die Norweger ihre Taktik am Netz angepasst. Als die Fans Thole und ihn selbst mit Sprechchören aus dem Stadion verabschiedet hatten, stellte Wickler fest: „So etwas habe ich beim Beachvolleyball noch nie erlebt.“
Drei Tage später, ein Anruf am Mittag. Die großen Fernsehkameras, in die Clemens Wickler seine Analysen formulieren durfte, sind wieder verschwunden, in Hamburg, seiner neuen Heimat, pendelt er nun wie gewohnt zwischen dem olympischen Stützpunkt und seiner Dreier-WG, in der Freizeit kümmert er sich noch um sein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Fernuni Hagen. Seine alte Heimat, Starnberg in Oberbayern, besucht er nur noch vier, fünf Mal im Jahr, mehr ist einfach nicht drin. Glaubt man Julius Brink, dem Olympiasieger von London, dürfte sich das so schnell auch nicht ändern. Er hat gerade über Wickler/Thole gesagt: „Die beiden können zum neuen Flaggschiff der deutschen Männer-Beachvolleyball-Szene werden.“
Wickler, den U19-Weltmeister (2013) und U20-Europameister (2014), freut das, aber „wir müssen in unseren Leistungen konstanter werden“, sagt er. Man muss dazu auch wissen, dass Brink sein Mentor ist, aber an seiner Einschätzung könnte schon etwas dran sein. Das Paar ergänzt sich einfach gut. Wickler, 1,91 Meter, ist der Abwehrspezialist, Thole, 2,06 Meter, blockt besser. Es passt auch neben dem Feld, was bei mindestens 300 gemeinsamen Tagen im Jahr nicht schadet. „Wenn wir beide Freundinnen hätten“, sagt Wickler, „würden wir uns deutlich öfter sehen als sie.“
Von seinem neuen Partner ist Clemens Wickler angestachelt. Er hat endlich Konstanz gefunden – nach drei Umzügen, mehreren Partnerwechseln und einer hartnäckigen Verletzung (Patellasehne). Weit weg von der bayerischen Heimat jagt er ab sofort dem nächsten großen Ziel hinterher: den Olympischen Sommerspielen 2020 in Tokio. christopher meltzer