Ist es nicht unfair, dass nun alle den Deutschen Fußball-Bund in der Luft zerreißen? Die Frage muss erlaubt sein. Vielleicht war es nicht unbedingt glücklich, das Nationalteam marketingtechnisch als „Die Mannschaft“ zu verkaufen, die dann vor und während der WM nicht #zsmmn, sondern eher #rrgnt oder total #bghbn aufgetreten ist und schon für Verstörung, Spott und Häme gesorgt hat. Aber ist man (oder der Chefideologe Bierhoff) damit nicht nur einem weltweiten Trend gefolgt?
Der Fußball ist ja bei weitem nicht der einzige Sport, der, nicht ganz unbewusst, eine Entfremdung von der Basis durchaus billigend in Kauf nimmt, so lange Sponsoren glücklich sind und die Millionen reichlich fließen.
Den Tennisfans haben sie gerade den Davis Cup genommen, der mehr als ein Jahrhundert faszinierende Geschichte(n) geschrieben, Mythen gestrickt und (als es Tennis noch im Free-TV gab) die Zuschauer über viele Stunden vor dem Bildschirm mehr gefesselt hat als jeder Hitchcock oder Tatort: Becker, Westphal, Steeb, Stich, unvergessene Schlachten. Das neue Format komprimiert den Wettbewerb der besten 18 Tennis-Nationen auf eine Woche im tristen Spätherbst, das sei attraktiver, zumindest für Sponsoren und TV-Sender. Und damit natürlich noch viel einträglicher.
Das IOC ist seit Jahren bemüht, die Marke Olympia, diese ursprünglich so wunderbare Idee, als Goldesel für maximalen Profit zu missbrauchen und, wie Felix Neureuther neulich in der SZ monierte, die grandiose Sportbegeisterung der Menschen zu killen. Winterspiele in Sotschi, in Pyeongchang, in Peking, immer mehr, immer exotischere Disziplinen, nicht nah am Volk, aber am Puls der Zeit. Statt schneller, höher, stärker heißt das olympische Motto heute immer gigantischer, verrückter und lukrativer. So werden künftig auch die Gamer in die olympische Familie eingeladen, E-Sport verspricht ein unglaubliches finanzielles Potenzial.
Vielleicht nicht unbedingt das richtige Signal an eine Jugend, die sich, wie gerade wieder eine umfangreiche AOK-Studie bestätigt, kaum noch bewegt. Nur zehn Prozent der Kinder seien so aktiv wie von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen, heißt es da. Nicht ganz überraschend spiele dabei der zunehmende Medienkonsum eine tragende Rolle. Trotzdem hat E-Sport Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden, und gerade hat die fesche Staatsministerin Dorothee Bär der Computerspielbranche auf der Gamecom in Köln eine Förderung von 100 Millionen Euro in Aussicht gestellt (nur Ewiggestrige werden sich fragen, warum für einen einigermaßen vernünftigen Schulsport dagegen kein Geld da ist).
Fast schon gierig umwirbt der Bayerische Fußball-Verband die E-„Sportler“, verständlich, die Mitgliederzahlen geben Anlass zur Sorge, weil unseren Kids selber laufen schlicht zu anstrengend ist. Wenn nun das Zocken zur anerkannten Sportart wird, hat der Nachwuchs endlich schlagende Argumente, wenn wieder mal die halbe Nacht vor dem Bildschirm verdaddelt wurde: War Training, beinhartes Training. Ist halt so brutal ehrgeizig, das Kind, bestimmt wird es bald Olympiasieger.
Dann eben nicht Fußball-Weltmeister, zumindest nicht auf dem grünen Rasen. Denn dass das nächtliche Spiel an der Konsole nicht unbedingt die körperliche Leistungsfähigkeit fördert, sollten unsere Nationalspieler in Watutinki ja nachdrücklich bewiesen haben. Für die Gamer-Generation aber sind sie bestimmt zum strahlenden Vorbild geworden. Als Vorboten einer Zeit, in der sich der große Sport noch weiter entfernt von dem Sport, den wir kannten. Und irgendwie liebten. Wir alle #zsmmn.
Zwischentöne