„FC Bayern ohne Hoeneß – klingt gar nicht gut“

von Redaktion

Thomas Helmer über die Rücktrittsgedanken des Präsidenten, den decodierten Thomas Müller und Sorgen vor Nationen wie Norwegen

München – Am Sonntag startet auch Thomas Helmer wieder in die Saison. Jeden Sonntag wird er wie gewohnt ab 11 Uhr den „Check24 Doppelpass“ auf Sport1 moderieren. Zum Auftakt sind unter anderem Stefan Effenberg und Friedhelm Funkel seine Gäste. Im Interview analysiert der frühere Bayern-Kapitän die Lage im deutschen Fußball.

-Herr Helmer, freuen Sie sich dieses Jahr weniger auf die Saison als sonst?

Oh, woher kommt der negative Zungenschlag?

-Nun, die deutsche Fußball-Seele scheint verletzt: International schon länger am Abreißen, Liga der Langeweile, nun das fatale WM-Abschneiden . . .

Stimmt schon. Wir hatten jetzt alle eine kleine betrübliche Phase. Aber es ist ja auch mal gut, wenn man auf dem Boden landet, auf dem Hosenboden muss man in dem Fall ja sagen. So etwas beinhaltet die Chance, wieder anzupacken. Erste kleine Schritte sind ja schon anvisiert, und ich denke, wir müssen vor allem wieder mehr Fan-Nähe erzeugen. Die Leute sollen wieder sagen: Das ist meine Mannschaft, mein Verein. Dafür muss der deutsche Fußball etwas tun, ohne Frage. Bei der Liga der Langeweile habe ich ehrlich gesagt die größten Sorgen: Wenn man gar nicht mehr von „Meisterkampf“ reden kann, wie es seit Jahren ist, wird es haarig.

-Erleben wir gerade die größte Krise des deutschen Fußballs seit Anfang der 2000er Jahre?

Ja, da muss man nicht herumreden. Gerade diese WM hat uns alle so unerwartet getroffen. Nach dem Confed Cup und dem EM-Coup der U 21 hieß es ein Jahr zuvor noch: „Uns kann keiner aufhalten!“ Da sagten alle, Joachim Löw habe ein Luxusproblem und müsse aus 40 Weltmeistern auswählen. Dass man dann als Deutschland so baden geht, noch dazu als Titelverteidiger, ist ein Schock, davon müssen wir uns alle erst noch erholen.

-Ralf Rangnick hat ein düsteres Bild entworfen: Der deutsche Fußball drohe auf dem Friedhof der Erinnerungen zu landen.

Mir ist das dann doch ein bisschen zu schaurig. Der deutsche Fußball ist nicht tot, aber es stimmt schon: Es muss wieder Leben rein, Kampfgeist. Wenn man mit Verantwortlichen von Bundesligisten spricht, die nicht FC Bayern heißen, spürt man eine gewisse Resignation vor der internationalen Kaufkraft. Kapitulation ist aber keine Lösung. Es ist uns allen bewusst, dass wir nicht mehr die beste Liga der Welt sind. Das heißt aber nicht, dass man sich gehen lassen kann. Im Gegenteil.

-Rangnick zielte auf die Abschaffung von 50+1 ab. Ist das unumgänglich?

Ja, ich sehe da keine Alternative. Sonst wird die Bundesliga auf Dauer eine Ausbildungsliga – wobei wir selbst im Nachwuchsbereich eine Delle haben. Ich habe erst neulich mit Stefan Kuntz gesprochen, der sagte: „Da kommen Nationen wie Norwegen, die überholen uns.“ Nichts gegen Norwegen, aber die haben eigentlich natürlich weniger Potenzial. Bei 50+1 bin ich bei Karl-Heinz Rummenigge, der sagte, jeder Club soll für sich entscheiden dürfen. Das ist doch nicht verkehrt. Und gerade in Deutschland werden Dinge mit Vernunft angegangen. Ich bin sicher, dass man hier sinnvolle Konstrukte bauen würde.

-Wenn Schalke als Tabellenzweiter kurz vor der Saison Thilo Kehrer verkauft – ist das ein Beleg: Die Liga verabschiedet sich von großen Ambitionen?

Ich will das nicht auf Schalke unterbrechen. Generell ist das ein Problem, wenn die Clubs ihre Talente vermehrt ans Ausland verlieren. Wirtschaftlich kann man so etwas immer rechtfertigen bei den aktuellen Summen. Aber die Bundesliga zahlt am Ende drauf, wenn diese Entwicklung anhält.

-Ist der neue FC Bayern unter seinem neuen Trainer Niko Kovac heuer andererseits verwundbarer?

Neue Bayern sehe ich bis jetzt noch nicht. Kovac greift bisher auf Altbewährtes zurück, was ja nicht falsch ist. Die Chance für die anderen könnte aber kommen, denn es ist unrealistisch, dass Franck Ribery und Arjen Robben noch zwei, drei Jahre auf diesem Niveau spielen. Die Bayern müssen jetzt auf Spieler wie Kingsley Coman setzen. Der Umbruch muss kommen, und ich denke, dass Kovac dafür der Richtige ist. Und zwar nicht, weil er, wie viele sagen, das Bayern-Gen hat, denn das ist Quatsch, er war als Spieler ja nur zwei Jahre da. Aber er packt das alles sehr gut an, hat einen klaren Plan. Frankfurt hat sich unter ihm enorm entwickelt. Er hat keine Angst, das ist das Wichtigste, wenn er beim FC Bayern erfolgreich sein will. Wenn Robben nicht gut drauf ist, nimmt er ihn raus. Das ist ein richtig guter Trainer, der dem FC Bayern guttun wird.

-Wer sind die Verfolger? Über Dortmund sagte Uli Hoeneß, der BVB brauche bei den vielen neuen Beratern in der Führungscrew für Auswärtsfahrten bald einen Gelenkbus . . .

(lacht) Das ist ein typischer Uli . . . Aber mit dem Gelenkbus hätten die Dortmunder noch mehr Feierfläche, wenn sie auf dem Borsigplatz was zu bejubeln haben. Der BVB hat wie Schalke, Leipzig, Leverkusen und Hoffenheim eine Chance, Bayern zu ärgern. Allerdings glaube ich nicht über die gesamte Dauer der Saison. Lucien Favre ist eine gute Lösung in Dortmund, er ist ein Entwickler, erklärt den Spielern viel. Bei Schalke fand ich Domenico Tedesco eine tolle Entdeckung, ihm traue ich viel zu. Nagelsmann wird in Hoffenheim noch einmal alles geben. Letztes Jahr hatte er eine kleine Delle und hat sich sehr gekonnt wieder nach oben gearbeitet. Ich schätze seine Art sehr. Das ist ein Trainer, der noch viel auf die Beine stellen wird. Ich finde ihn sehr gut.

-Finden Sie Robert Lewandowski auch gut? Jetzt will er ein Bayer bleiben.

Man muss Bayern bei Lewandowski ein Kompliment machen. Das haben sie sehr souverän gehandhabt. Jetzt steht fest, dass er bleibt, und ich denke nicht, dass es ein Problem mit seiner Leistung geben wird. In Dortmund hat er sich das eine Jahr Warteschleife nichts zuschulden kommen lassen. Es ist auch für ihn gut, dass die Tür jetzt zu ist. Und es gibt Schlimmeres, als bei Bayern zu spielen. In der Mannschaft hat er alle Chancen auf große Titel. Er hat natürlich letztes Jahr in der Champions League enttäuscht. Da muss er noch drauflegen.

-Wie sehen Sie, dass die Bayern Jerome Boateng als überzählig betrachten?

Das finde ich ein bisschen merkwürdig. Kovac will ihn behalten, und ich denke, damit hat er Recht: Denn wenn Boateng fit ist, gibt es ja fast keinen Besseren. Und Javi Martinez ist auf der Sechs eingeplant, dann dürfen sich Mats Hummels und Niklas Süle schon mal nicht verletzen. Sollte Boateng gehen, bräuchte man noch einen.

-Benjamin Pavard ist im Anflug – einer, der dem FC Bayern weiterhilft?

Auf jeden Fall. Das ist ein junger Spieler, der in der Defensive vielseitig einsetzbar ist. Ein Weltmeister, das sagt ja auch was, zumal er nicht nur Ergänzungskraft war. Da macht Bayern einen sehr guten Griff mit Blick auf die Zukunft.

-Stefan Effenberg sagt, Thomas Müller spiele auf Bewährung. Hat er Recht?

Hm, was heißt „auf Bewährung“? Er wird noch immer an

der Spielzeit gemessen, in der er alles getroffen hat. Letzte Saison hat er sich aus seinem Tief herausgearbeitet, bei der WM hat er dann enttäuscht wie alle anderen. Ich will nicht sagen, er ist entzaubert worden – aber mittlerweile wissen alle Gegner, wie Müller spielt. Früher waren seine Wege unergründlich, jetzt ist er decodiert. Das ist ein Problem. Und es gibt für ihn noch immer keine echte Position. Seine Stärke ist, dass er zwischen den Linien herumläuft und immer entwischt. Aber das haben die anderen nunmal durchschaut.

-Was kann er jetzt machen? Sich neu erfinden dürfte schwer sein . . .

Nein, das geht nicht in seinem Fall. Da ist der Trainer gefragt, um eine Position zu finden, auf der er wieder alle Stärken ausspielen kann. Wenn er gut drauf ist, ist er für jede Mannschaft eine Verstärkung.

-Uli Hoeneß hat Rücktrittsgedanken geäußert. 2019 steht seine Wiederwahl an, aber der Präsident zögert. Ist der FC Bayern ohne ihn vorstellbar, vor allem jetzt schon?

Der Typ, der Mensch Uli Hoeneß würde unglaublich fehlen. Ich weiß zum Beispiel: Wenn ich ein Problem habe, würde ich immer Uli fragen. Er hat für jeden ein offenes Ohr, und das ist nicht einfach dahingesagt. Das ist eine Eigenschaft, die es in der Branche nicht oft gibt. FC Bayern ohne Hoeneß, das klingt gar nicht gut. Und ich schätze seine Frau Susi sehr, doch sie weiß auch, dass der FC Bayern Ulis Leben ist. 2019, das wäre schon nächstes Jahr. Also: Ich hoffe nicht, dass er aufhört. 2019? Nein, nein, nein! Nicht mal, wenn die Bayern alles gewinnen.

-Und Hasan Salihamidzic ist noch nicht so weit, dass man ihm die Schlüssel in die Hand geben kann.

Nein, und das weiß Uli auch. Hasan ist fleißig, reibt sich für den Verein auf, so war er immer schon. Er ist neugierig und entwickelt sich. Aber er kann das noch nicht alleine. Er braucht Karl-Heinz Rummenigge, und vor allem auch Uli. Den kann er immer anrufen. Selbst Auseinandersetzungen mit Hoeneß sind ein Gewinn, weil es immer um die Sache geht und am Ende ein Resultat steht, mit dem alle zurechtkommen. Schon allein, um Salihamidzic noch ein wenig zu führen, muss er noch eine Amtsperiode dranhängen. Für seinen FC Bayern.

Interview: Andreas Werner

Artikel 1 von 11