New York – In manchen Momenten sieht Dominic Thiem schrecklich ernst aus, aber diese Minuten genoss er offensichtlich in vollen Zügen. Auch eine ganze Weile später noch leuchtete er irgendwie, als er sagte, beim Sieg gegen Kevin Anderson (7:5, 6:2, 7:6), den Finalisten des Vorjahres, habe er eines der besten Spiele seiner Karriere gemacht und habe dabei auch die Geister verscheucht, die ihn im vergangenen Jahr im Achtelfinale überfallen hatten. Damals gegen Juan Martin del Potro auf dem drittgrössten Platz der Anlage, dem so genannten Grandstand, hatte er nach zwei souverän gewonnenen Sätzen noch verloren, weil auf der Tribüne leidenschaftlich mitgehende Argentinier saßen, aber kaum Stimmen für einen eher leisen, liebenswerten Österreicher laut wurden. Diese Stimmen klangen ihm lange Zeit wie ein Untergangsgesang in den Ohren, und er fragte sich danach immer wieder, warum er es nicht geschafft hatte, damit besser umzugehen.
Diesmal spielte er im neuen Louis Armstrong Stadion, und ein paarmal stand er so dicht mit dem Rücken zur Wand, dass ihn die Zuschauer von der dahinter und darüber liegenden Tribüne nicht mehr sehen konnten. Im normalen Leben mag der Begriff mit-dem-Rücken-zur-Wand nichts Gutes verheißen, aber wenn Dominic Thiem Tennis spielt, sieht die Sache anders aus. Je mehr Platz er hinter der Grundlinie hat, je weiter er nach hinten rücken und sich damit Zeit für den Return und die anderen Schläge nehmen kann, desto wohler fühlt er sich.
Und nun, da er zum ersten Mal die Hürde des Achtelfinales bei einem Grand-Slam-Turnier auf Hartplatz übersprungen hat und zudem im achten Spiel gegen Anderson den zweiten Sieg einfuhr, fährt das Schiff seiner Hoffnungen unter vollen Segeln. Wenn er heute im Viertelfinale gegen Rafael Nadal spielt, der zwei komplizierte Spiele hinter sich hat, dann wird das in gewisser Weise eine Premiere sein. Bisher fanden alle zehn gemeinsamen Begegnungen auf Sand statt, auf dem sich beide am wohlsten fühlen. Von diesen zehn Spielen hat Thiem immerhin drei gewonnen. Auf Sand. In Nadals Hoheitsgebiet. Thiem sagt, er habe drei schöne Erfahrungen gehabt und sechs fürchterliche. Drei und sechs macht neun, ein Spiel hat er also verdrängt oder vergessen; vielleicht das Finale der French Open in Paris, als er in drei klaren Sätzen verlor.. „Ich hoffe, dass es auf Hartplatz angenehmer für mich ist und dass ich einen tollen Tag habe“, sagt er, „sonst sieht’s finster aus.“
Er freut sich auf die neue Chance und auf sein erstes komplettes Spiel im größten Tennisstadion der Welt. Der ersten Versuch vor zwei Jahren endete im Achtelfinale, ebenfalls gegen del Potro, nach anderthalb Sätzen mit einer Verletzung. Im Arthur Ashe Stadion ist hinter den Grundlinien noch mehr Platz als nebenan bei Louis Armstrong, da kann er weit genug nach hinten gehen, um darauf zu warten, dass die mit extremem Topspin gespielten Bälle des Spaniers im Sinkflug sind, ehe er sie zurückspielt. Es gibt ja nur zwei vernünftige Möglichkeiten, diesen Topspin zu entschärfen – entweder man trifft den Ball im Aufsteigen und früh oder eher spät, wenn die Flugkurve abfällt. Mit der zweiten fühlt sich Dominic Thiem deutlich wohler. Wenn er könnte, würde er sie vermutlich aus der dritten Reihe der Tribüne spielen.
Was Rafael Nadal von all dem hält, ein Jahr nach seinem dritten Titelgewinn in New York? Auch der steht beim Aufschlag des Gegners oft meterweit hinter der Linie, aber im Gegensatz zu Thiem steckt dahinter kein Wohlfühlprogramm, sondern Kalkulation. „Ich mag das, was am besten funktioniert. Und das hängt vom Moment und vom Gegner ab“, und hob dabei die linke Augenbraue – wie so oft wenn er sich mit einem ernsten Thema befasst. Im übrigen freue er sich mit Thiem über dessen Erfolg, und ist überzeugt davon, man werde eine interessante Partie sehen. Das hört sich gut an.